Seit Bundeskanzler Friedrich Merz am 14. Oktober Migranten als „Problem im Stadtbild“ beschimpfte, das durch mehr Abschiebungen gelöst werden müsse, bricht die Auseinandersetzung darüber nicht mehr ab. Dabei wird immer deutlicher, was der Kanzler mit seiner rassistischen Tirade bezweckt.
Merz und seine Regierung bereiten sich auf heftige Konflikte mit der Arbeiterklasse vor. Sie planen einen Frontalangriff auf Sozialleistungen, von denen die Existenz von Millionen abhängt. Das lässt sich nicht mit demokratischen Methoden verwirklichen. Deshalb stempeln sie Migranten zum Sündenbock für die Folgen ihrer eigenen Politik und greifen dabei tief in die Propagandakiste der AfD. Sie stärken so gezielt die Rechtsextremen, weil sie diese brauchen, um die Arbeiterklasse zu spalten und zu unterdrücken.
Finanzkrise der Kommunen
Merz hat den Hinweis auf das „Stadtbild“ nicht zufällig gewählt. In den Kommunen sind die verheerenden Folgen der Sparpolitik der Bundesregierung besonders deutlich zu spüren. Mit 363 Milliarden Euro jährlich (Stand 2024) geben die Kommunen nur 100 Milliarden weniger aus als die Länder und 200 Milliarden weniger als der Bund. Sie können diese Ausgaben aber nur zu einem geringen Teil aus eigenen Einnahmen finanzieren und sind auf hohe Zuwendungen des Bundes und der Länder angewiesen.
Jahre der Sparpolitik und die Folgen der Schuldenbremse haben diese Zuweisungen sinken lassen, während immer neue Aufgaben auf die Kommunen übertragen werden. So haben sich die Sozialausgaben, zu denen die Kommunen durch Bundesgesetze verpflichtet sind, seit 2009 mehr als verdoppelt. Sie machen inzwischen über 40, in einigen Regionen sogar bis zu 65 Prozent der kommunalen Haushalte aus.
Als Folge ist kaum mehr eine Kommune in der Lage, notwendige Investitionen in marode Schulen, kaputte Straßen, Bibliotheken, Freizeitstätten, Kitas, soziale Dienste und andere gesellschaftlich wichtige Einrichtungen zu tätigen. Die Lage hat sich in den letzten zwei Jahren dramatisch verschärft. Das Defizit aller deutschen Kommunen summierte sich 2024 auf 25 Milliarden Euro – eine Vervierfachung innerhalb von zwölf Monaten! In diesem Jahr wird mit einem Fehlbetrag von 35 Milliarden Euro gerechnet.
„Defizite in nie gekannter Höhe türmen sich auf, absehbar steigende Kassenkredite läuten eine Zins-Schulden-Spirale ein und die Investitionen schrumpfen zusammen,“ warnen die kommunalen Spitzenverbände. „Die föderale Finanzarchitektur ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten.“
Der Deutsche Landkreistag schreibt in einem Brief an Bundeskanzler Merz und Finanzminister Klingbeil: „In derart großer Not waren die Städte, Landkreise und Gemeinden noch nie.“ Die Investitionen würden trotz zusätzlicher Bundesmittel abstürzen.
Und die F.A.Z. berichtet unter der Schlagzeile „Über den Kommunen hat sich ein Sturm zusammengebraut“: „‚Echte‘ ausgeglichene städtische Etats (also ohne Rückgriff auf Rücklagen) sind landauf, landab mittlerweile die absolute Ausnahme. Bei einer Umfrage unter den Mitgliedskommunen des Deutschen Städtetags Anfang des Jahres gaben nur sechs Prozent der Städte an, das zu schaffen. 2024 waren es noch 21 Prozent gewesen.“
Merz und Klingbeil denken allerdings nicht im Traum daran, den Kommunen zu helfen. Der Würgegriff, mit dem sie die Finanzzufuhr der Kommunen erdrosseln, dient dazu, die gewaltigen Kosten für Aufrüstung und Krieg und für die Bereicherung der Reichen auf die arbeitende Bevölkerung abwälzen.
Hunderte Milliarden für die Rüstung
Klingbeils mittelfristige Finanzplanung sieht vor, bis 2029 neue Schulden in Rekordhöhe von 850 Milliarden Euro aufzunehmen. Dieser gewaltige Schuldenberg dient dazu, die Bundeswehr so aufzurüsten, dass sie einen Krieg gegen Russland führen kann, und die Infrastruktur „kriegstüchtig“ zu machen. Im Haushalt klafft deshalb ein Loch von mehr als 170 Milliarden Euro, das Klingbeil durch Einsparungen zu Lasten der Arbeiterklasse stopfen will.
In den Kommunen kann er sich dabei auf eine Allparteienkoalition aller etablierten Parteien – einschließlich der Linken und der AfD – verlassen. Egal wie sie sich öffentlich zur Bundesregierung verhalten, setzen sie in den Kommunalvertretungen deren Spardiktat um. Selbst wenn sie gelegentlich jammern und klagen, ist nicht eine von ihnen bereit, Widerstand dagegen zu mobilisieren.
Hauptprofiteur dieser Allparteienkoalition des Sozialabbaus ist die AfD. Die rechtsextreme Partei verfügt auf kommunaler Ebene mittlerweile über mehrere Tausend Mandatsträger. In einigen ostdeutschen Bundesländern ist sie sogar stärkste Partei.
Vor wenigen Tagen fand in Berlin eine Konferenz von 500 AfD-Kommunalpolitikern statt, auf der der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner gegen „Migrationswahnsinn“ und „Klimaquatsch“ hetzte. Der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Joachim Paul brüstete sich dort, auf kommunaler Ebene müsse man keine Brandmauern mehr umstoßen: „Es reicht, sie umzupusten.“ Der AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bürgermeister von Jüterbog, Arne Raue, lobte: „Niemand hilft uns in unserem Wachstum mehr als die Altparteien.“
Auch die Landesregierungen setzen, unabhängig von ihrer politischen Zusammensetzung, den radikalen Sparkurs der Bundesregierung in die Tat um. Obwohl sie wegen der Schuldenbremse seit fünf Jahren keine neuen Kredite mehr aufnehmen dürfen, schieben die Länder einen Schuldenberg von 610 Milliarden Euro vor sich her. Das ist fast ein Viertel der staatlichen Gesamtverschuldung von 2,5 Billionen Euro.
Nun streichen sie die Bildungs-, Kultur- und Sozialetats drastisch zusammen. Allein die Berliner Hochschulen müssen im laufenden Jahr 145 Millionen Euro einsparen. Zehn Prozent der Studienplätze, insgesamt etwa 25.000, werden gestrichen und der Personaletat drastisch gekürzt. In anderen Bundesländern ist es ähnlich.
Der Kahlschlag in den Kommunen und Ländern ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Der umfassendste Angriff auf den Sozialstaat findet auf Bundesebene statt.
Wirtschaftsverbände und Medien drängen auf massive Einschnitte bei den Renten und den Gesundheitsausgaben. „Schon eine Stabilisierung der Sozialausgaben wird ohne Leistungskürzungen und Einschnitte schwer genug; wer sie senken wollte, müsste drastischer vorgehen,“ schreibt die Wirtschaftswoche und drängt auf die Abschaffung der Mütterrente und der abschlagfreien Frührente sowie auf eine Senkung des Versorgungsniveaus. „Ähnliches gilt für Gesundheit und Pflege; die Kosten steigen fast ungebremst.“ Vergleichbare Artikel und Studien gibt es zu Dutzenden.
Merz: „Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten“
Bundeskanzler Merz hatte bereits im August verkündet: „Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten.“ Die Regierung geht allerdings schrittweise vor, um den erwarteten Widerstand zu dämpfen. Sie hat den Abbau von Renten und Gesundheitsabgaben in Kommissionen ausgelagert, die Vorschläge ausarbeiten, und als erstes die Abschaffung des Bürgergelds und seine Ersetzung durch eine Grundsicherung beschlossen.
Der Zweck dieser Maßnahme, deren Einsparpotential bei maximal 5 Milliarden Euro liegt, besteht darin, Arbeitslose unter Druck zu setzen, praktisch jede, auch noch so schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Sonst droht ihnen die Kürzung oder die völlige Streichung der Grundsicherung. Ähnlich hatten schon die Hartz-Gesetze vor 20 Jahren funktioniert, die die Grundlage für einen riesigen Niedriglohnsektor legten.
Der Bundesregierung geht es dabei nicht nur um die 3 Millionen Menschen, die jetzt schon arbeitslos sind, sondern um die Zehntausenden, die Monat für Monat ihre Arbeit verlieren. Sie sollen zur sofortigen Annahme schlecht bezahlter Jobs gezwungen werden. Arbeitsministerin Bärbel Bas hat öffentlich vorgerechnet, dass der Staat 850 Millionen Euro im Jahr spart, wenn 100.000 weniger Grundsicherung beziehen.
Laut Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gehen „in der Industrie seit gut zwei Jahren Monat für Monat über 10.000 Jobs verloren“. Vor allem die Autobranche ist betroffen. Dabei handelt es sich in der Regel um qualifizierte, relativ gut bezahlte Arbeitsplätze, von denen wiederum zahlreiche andere abhängen.
Das Arbeitsplatzmassaker wird durch den Handelskrieg mit den USA und China weiter verschärft. Mittlerweile drohen Traditionskonzerne wie Ford und Opel (Stellantis), ihre Werke in Deutschland ganz zu schließen. Auch VW, Porsche, Mercedes und andere Autokonzerne stecken tief in der Krise. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein kleiner oder mittlerer Zulieferer bankrott anmeldet oder die Produktion einstellt. Hinzu kommt die Einführung künstlicher Intelligenz, mit der zahlreiche Arbeitsplätze im Verwaltungs- und Dienstleitungsbereich vernichtet werden.
Aktienkurse explodieren
Bisher stützt sich die Bundesregierung vor allem auf die Gewerkschaften, um den Widerstand gegen das Arbeitsplatzmassaker und den sozialen Kahlschlag zu unterdrücken. Deren gut bezahlten Funktionäre und vollamtlichen Betriebsräte arbeiten die Pläne zum Stellenabbau aus und ersticken jeden Widerstand dagegen. Sie bezeichnen Arbeitsplatz- und Lohnabbau als notwendig, damit deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb „konkurrenzfähig“ bleiben.
Doch ihre Lüge, dass Arbeiter und Bosse in einem Boot sitzen, wird Tag für Tag durchsichtiger. Während der Lebensstandard der Arbeiter seit Jahren stagniert oder sinkt, explodieren Aktienkurse, große Vermögen und Mangergehälter.
Trotz stagnierender Wirtschaft und zahlreicher Pleiten bewegt sich der DAX seit Juni um einen Rekordwert von 24.000 Punkten. Das ist mehr als zwei Mal so viel wie 2020 auf dem Höhepunkt der Corona-Krise. Der Gesamtwert der 40 im DAX gelisteten Unternehmen liegt bei knapp zwei Billionen Euro.
Die Aktienkurse bleiben trotz Wirtschaftskrise hoch, weil die Spekulanten darauf vertrauen, dass sie der Staat im Falle einer Finanzkrise wie 2007 „rettet“. Seither kam der Vermögenszuwachs in Deutschland fast ausschließlich den Reichsten zugute. Die Zahl der Milliardäre hat sich von 42 auf 171 vervierfacht. 10 Prozent der Haushalte verfügen über 56 Prozent des Gesamtvermögens.
Auf der anderen Seite wächst die Armut. 2024 waren 15,5 Prozent der Bevölkerung oder rund 13 Millionen Menschen arm. Unter Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren betrug der Anteil sogar 25 Prozent.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese sozialen Gegensätze explodieren. Das ist der Grund für Merz‘ Orientierung auf die AfD. Überall auf der Welt wenden sich die Vertreter des Kapitals angesichts wachsender sozialer Spannungen autoritären Herrschaftsformen und faschistischen Kräften zu. Das gilt für Italien ebenso wie für Frankreich und zeigt sich am deutlichsten in den USA, wo Trump eine Präsidialdiktatur errichtet und sich auf faschistische Kräfte stützt. Die Demokraten leisten ihm dabei keinen Widerstand, weil sie dieselben Kapitalinteressen vertreten.
Die herrschenden Kreise Deutschlands blicken mit einer Mischung aus Furcht und Bewunderung auf die USA: Furcht wegen Trumps Handelskriegsmaßnahmen; Bewunderung wegen seiner harten Hand gegen Arbeiter, Migranten und Linke. Das gilt nicht nur für Merz und die CDU, sondern ebenso für Klingbeil und die SPD.
Der Sozialabbau und die Gefahr von Krieg und Diktatur können nur gestoppt werden, wenn die Arbeiterklasse mit allen etablierten Parteien und ihren Handlangern in den Gewerkschaften bricht, sich international zusammenschließt und den Kampf für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft aufnimmt.
