Merz-Klingbeil-Regierung greift Sozialstaat an: „Das Bürgergeld ist Geschichte“

Merz während der Kabinettssitzung am Mittwoch, 10. September 2025, im Kanzleramt in Berlin [AP Photo/Markus Schreiber]

Am Mittwoch, den 8. Oktober, hat der Koalitionsausschuss der Merz-Klingbeil-Regierung das Bürgergeld abgeschafft. Die Entscheidung weist klar auf den Charakter dieser Regierung hin, die sich nach außen auf Krieg und im Innern auf Klassenkrieg einstellt. Schon im August hatte Kanzler Friedrich Merz (CDU) erklärt: „Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten“.

Mit den neuen, harschen Regeln für die Grundsicherung folgt das SPD-geführte Ministerium für Arbeit und Soziales jetzt unmittelbar dem Diktat der AfD. Am 24. September hatte AfD-Chefin Alice Weidel im Bundestag, das Bürgergeld sei „zum Migrantengeld verkommen, dessen Kosten völlig aus dem Ruder laufen“. Es sei „ein Selbstbedienungsladen, in dem sich Abzocker ungeniert bereichern können“. Sie kreischte: „Schaffen sie dieses Bürgergeld endlich ab!“

Dieser Aufforderung ist die Regierung jetzt nachgekommen. „Das Bürgergeld ist Geschichte“, konstatierte CSU-Chef Markus Söder in der Bundespressekonferenz vom Donnerstagmorgen. Und Kanzler Merz bestätigte, das Kapitel Bürgergeld sei damit beendet. Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Bärbel Bas (SPD), erklärte: „Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist.“

Dabei wurde lange Zeit gerade das, was die Koalition jetzt beschlossen hat, als verfassungswidrig bezeichnet: die Komplettstreichung des Bürgergeldes als Strafmaßnahme. In der Pressekonferenz darauf angesprochen, antwortete Bärbel Bas: „Bei Terminverweigerern gibt es jetzt eine Kaskade der Sanktionen, die zuletzt bis auf Null geht. (…) Wir sind fest davon überzeugt, dass das verfassungskonform ist.“ Und Kanzler Merz erläuterte, wie das funktioniert: Wer als Sozialgeldempfänger einen ersten und zweiten Termin versäumt, dem wird das ohnehin schon magere Geld (563 Euro monatlich) um 30 Prozent gekürzt. Wird auch ein dritter Termin versäumt, werden sämtliche Zahlungen eingestellt.

Die 5,5 Millionen Sozialhilfeempfänger, welche die Grundsicherung erhalten und die jetzt derart unter Druck gesetzt werden, stehen zudem vor Leistungskürzungen, denn sie müssen im kommenden Jahr trotz steigender Preise mit einer Nullrunde rechnen. Das kann auch Rentnerinnen und Rentner treffen, die im Alter noch aufstocken müssen. Mit all diesen Maßnahmen rechnet die Regierung mit maximal fünf Milliarden Euro Einsparungen.

Gleichzeitig teilt Merz Steuergeschenke an Aktionäre und Unternehmer aus. Schrittweise will er den Satz der Körperschaftssteuer, welchen Konzerne, GmbHs und Aktiengesellschaften auf ihre Gewinne zahlen, von aktuell noch 15 Prozent bis 2029 auf 10 Prozent absenken. Dieser Satz betrug in der Nachkriegszeit auch schon einmal 65 Prozent. „Wir werden die niedrigste Körperschaftssteuer jemals haben“, versprach der Kanzler am 24. September im Bundestag. Allein damit entzieht er dem Haushalt innerhalb von fünf Jahren 46 Mrd. Euro. Und schätzungsweise zwei Drittel dieser Summe kommen denjenigen zugute, die schon privat jährlich 180.000 Euro oder mehr einkassieren.

Ganz anders wird mit denen verfahren, die am Rande der Armut leben. Bärbel Bas ließ in der Pressekonferenz keinen Zweifel an der Absicht, Arbeitslose zu jeder Art von Arbeit zu zwingen. „Wir können nur Geld sparen, wenn wir auf Arbeit setzen“, erklärte die Ministerin. „Wenn wir 100.000 Menschen mehr aus dem Bürgergeld raus in Arbeit kriegen, werden wir etwa eine Milliarde Euro einsparen.“

Dies ist besonders im Hinblick auf den grassierenden Arbeitsplatzabbau eine klare Drohung. In einer Situation, in der hunderttausende Arbeitende in der Auto- und Zulieferindustrie ihre bisherigen, vernünftig bezahlten und sozialversicherten Arbeitsplätze verlieren, sollen Arbeiterinnen und Arbeiter, die vielleicht jahrzehntelang in der Industrie geschuftet haben, nach kurzer Arbeitslosigkeit in jedes noch so schäbige Arbeitsverhältnis gezwungen werden.

10.000 Beschäftigte demonstrieren vor dem Bosch-Hauptsitz in Gerlingen bei Stuttgart gegen die Vernichtung von 22.000 Arbeitsplätzen

Der Angriff auf das Bürgergeld ist Teil eines Haushalts, der Milliardensummen für Aufrüstung und Krieg bereitstellt. Der Bundeshaushalt, der in diesem Jahr von 476,8 Milliarden (2024) auf 502,5 Milliarden steigt, wird im kommenden Jahr auf 520,5 Milliarden Euro steigen. Hinzu kommen die jährlichen Anteile aus den Sondervermögen für Bundeswehr und Infrastruktur, die Kredite bis zu einer Billion Euro ermöglichen. Einschließlich der Jahresanteile aus diesen Sondervermögen wird das Gesamtvolumen des Bundeshaushalts im kommenden Jahr auf über 600 Milliarden Euro steigen – eine Zunahme gegenüber 2024 von knapp 26 Prozent! Und das Geld kommt hauptsächlich der Aufrüstung zugute.

Denn das Verteidigungsbudget verzeichnet als einziges einen massiven Zuwachs: So kann die Bundeswehr im kommenden Jahr mit 82,7 Milliarden rechnen, das sind 20 Milliarden mehr als im laufenden Jahr. Einschließlich des Geldes aus dem Sondervermögen (in dem Jahr über 80 Milliarden) sind es sogar über 108 Milliarden Euro. Damit hat sich dieser Etat im Vergleich mit dem Verteidigungshaushalt vor zehn Jahren (33 Mrd. Euro im Jahr 2015) glatt verdreifacht. Bis 2029 soll der Verteidigungsetat auf 153 Milliarden (3,5 Prozent des BIP) und in den Folgejahren sogar auf 5 Prozent des BIP anwachsen.

Zudem fließen immer mehr der angekündigten Investitionen in den gesellschaftlichen Umbau zur Kriegswirtschaft. Ganze Produktionsstandorte wie VW Osnabrück oder Alstom in Görlitz und viele andere steigen auf Rüstungsproduktion um und werden dabei staatlich gefördert. Und auch das Sondervermögen für die Infrastruktur dient nicht etwa hauptsächlich der Erneuerung maroder Schulen, Kranken- und Pflegestationen oder des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs, sondern dem Ausbau kriegstauglicher Straßen, Autobahnen, Brücken und von Kommunikationssystemen für die äußere und innere Überwachung.

Bundeskanzler Friedrich Merz beim Aufstellungsappell der Bundeswehr-Panzer-Brigade in Litauen [Photo by Bundesregierug / Guido Bergman]

Für ihren Kriegshaushalt nimmt die Regierung einen gigantischen Schuldenberg in Kauf. Um die Sondervermögen zu finanzieren, rechnet sie mit jährlichen Kreditaufnahmen über 170 Milliarden Euro bis 2029. In diesen fünf Jahren plant die Bundesregierung zusätzliche Schulden in Höhe von 850 Milliarden Euro ein. Damit wird die Gesamtverschuldung auf 2,7 Billionen Euro steigen.

So läuft Merz‘ Zusage an die Rüstung nach dem Motto „What ever it takes“ darauf hinaus, dass ein riesiger und ständig wachsender Teil des Bundeshaushalts für Zinsen und Tilgung an die Banken fließt. Im Jahr 2029 werden diese Verpflichtungen 66,5 Mrd. Euro betragen; es könnten aber auch 100 Mrd. Euro sein, wie der Bund der Steuerzahler mit Blick auf die sinkende Kreditwürdigkeit Deutschlands an den globalen Finanzmärkten schätzt.

Merz verteidigte dies am 23. September im Bundestag mit den Worten: „Wir stehen als Land in einer der herausforderndsten Phasen der neueren Geschichte (…) Außen- und Innenpolitik lassen sich nicht mehr voneinander trennen.“ Der Kanzler verlangte, dass Arbeiterinnen und Arbeiter endlich einsehen müssen, dass sie die Kosten für Aufrüstung und Schuldenlast zu tragen haben: „Wir brauchen im Land ein Verständnis für die Unausweichlichkeit von Veränderungen“, so Merz.

So stellt der aktuelle Angriff auf das Bürgergeld ein klares Signal zum Frontalangriff auf alle sozialen Errungenschaften dar, die über Jahrzehnte erkämpft worden sind. Die Regierung geht schrittweise gegen die Ärmsten und Schwächsten vor. Schon im Mai hatte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) als erste Maßnahme den Familiennachzug für Geflüchtete gestoppt und seither mit Rückendeckung der SPD die Abschiebungen hochgefahren.

Die WSWS warnte damals, dass dies nur der Auftakt für Angriffe auf alle Arbeitenden sei. Dies hat sich jetzt bestätigt. Schon wird darüber gesprochen, den Pflegegrad Eins, den es seit 2017 gibt, wieder abzuschaffen, was 5,7 Millionen Pflegebedürftige betreffen und 865.000 von ihnen jeder Leistung berauben würde.

Was die Rentenzuschüsse des Bundes angeht, die etwa 70 Prozent des größten Haushaltsressorts für Arbeit und Soziales umfassen, so sind sie der Regierung schon längst ein Dorn im Auge. Allerdings ist der Angriff auf die Rente ein heißes Eisen. Vorläufig wurde nur die sogenannte „Aktivrente“ beschlossen: Wer ab dem kommenden Jahr als Rentner freiwillig weiterarbeitet, kann bis zu 2.000 Euro Lohn dafür steuerfrei beziehen. Einen größeren Angriff auf das Rentensystem hat Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) in eine Expertenkommission ausgelagert, die bis spätestens Anfang 2027 Empfehlungen vorlegen soll.

Keine einzige Partei, von AfD bis Linkspartei, hat den Bundeshaushalt in Frage gestellt. Keine Partei stellt den Grundkonsens in Frage, dem zufolge Deutschland wieder zur militärischen Großmacht und bis 2029 gegen Russland „kriegstüchtig“ werden müsse. Nur dank tatkräftiger Unterstützung der Kriegstreiber vom Bündnis 90/ Die Grünen sind die Sondervermögen über eine Billion Euro überhaupt zustande gekommen. Die Linke hat diesen Plänen im Bundesrat ausdrücklich zugestimmt, und seither unterstützt sie ihre Umsetzung in Gremien wie dem Haushaltsausschuss und Verteidigungsausschuss. Die Linke hat außerdem Merz‘ schnelle Wahl zum Bundeskanzler überhaupt erst möglich gemacht.

Die sozialen Kürzungen und die gigantische Staatsverschuldung bleibt kaum hinter den Bedingungen zurück, die in Frankreich zum wiederholten Sturz der Regierung und dem Aufbranden einer neuen Protest- und Streikbewegung geführt haben. Auch in Deutschland wächst, wie im Nachbarland, eine revolutionäre Situation rasch heran.

Die Wut über die sozialen Angriffe in der Arbeiterklasse ist enorm, doch sie hat bisher keine Stimme, da die DGB-Gewerkschaften eng mit der SPD in der Regierung verbunden und in die deutsche Wirtschaft integriert sind. Wie eng diese Zusammenarbeit ist, zeigte sich am Donnerstag unmittelbar nach der Pressekonferenz, als die IG-Metall-Führerin Christiane Benner sich mit der Regierung und den Wirtschaftskapitänen zum Autogipfel traf.

Die Lage erfordert jedoch eine entschiedene, unabhängige und internationale Antwort der Arbeiterklasse. Der Kampf gegen den sozialen Kahlschlag muss mit dem Kampf gegen Krieg und Faschismus verbunden werden. Die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationale Komitee der Vierten Internationale kämpfen für unabhängige Aktionskomitees in allen Betrieben als Teil der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC), um die Arbeiterklasse im Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung und Krieg und für ein sozialistisches Programm zu vereinen.

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