Etwa 120 Menschen drängten sich am Sonntag in den viel zu kleinen Kinosaal auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg, in dem der Mehring Verlag die beiden Bücher „Die Logik des Zionismus“ und „Sozialismus gegen Krieg“ des amerikanischen Sozialisten David North, dem Herausgeber der World Socialist Web Site, vorstellte.
Der Saal war bis zur Tür gefüllt, viele Teilnehmer mussten auf dem Boden sitzen, weil es nicht genügend Sitzplätze gab. Die Veranstaltung war damit eine der größten auf der gesamten Messe. In den Wochen zuvor hatten Unterstützer des Mehring Verlags die Buchvorstellung an Berufsschulen, Universitäten, unter Pflegern und in Arbeitervierteln beworben.
Die Veranstaltung war die einzige auf der Messe, die den anhaltenden Völkermord in Gaza und die Gefahr eines dritten Weltkriegs zum Thema machte. Die Linkspartei und andere pseudolinke Gruppen unterstützen Trumps „Friedensplan“ in Gaza, erklären den Völkermord für beendet und spielen auch die Gefahr eines dritten Weltkriegs herunter.
Im völligen Gegensatz dazu stand die Veranstaltung des Mehring Verlags, auf der beide Kriegsschauplätze in Gaza und der Ukraine als Teil der weltweiten Kriegsentwicklung analysiert, ihre Ursachen in der tiefen Krise des Kapitalismus erklärt und eine sozialistische Perspektive dagegen aufgezeigt wurden.
Darauf reagierte die Stadt Nürnberg, in dem sie die Veranstaltung politisch zensierte: Nur 30 Stunden vor Beginn der Messe forderte sie die Messeleitung auf, die Beschreibung der Veranstaltung zu ändern, und drohte, ansonsten von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen, um die Buchvorstellung „vom Programm der Linken Literaturmesse auszuschließen“. Auch die Plakate mit dem Veranstaltungstext, die im Gebäude aufgehangen wurden, wie es alle Verlage auf der Messe tun, mussten unter Androhung eines Verbots der Veranstaltung wieder entfernt werden.
Die Stadt beanstandete an der Beschreibung, dass diese der Bundesregierung „blutige Kriegsverbrechen“ vorwirft und dass sie den Völkermord in Gaza als solchen bezeichnet. Dies sei nach Ansicht der Stadt gesetzeswidrig. Diese Argumentation läuft auf die Unterdrückung jeder Kritik an der Kriegspolitik der Bundesregierung hinaus.
Unterstützer des Mehring Verlags reagierten auf die Zensur mit einer politischen Offensive: Ein Flugblatt, das die Zensur verurteilte, wurde zu Hunderten an die Messebesucher verteilt, so dass letztlich alle Bescheid wussten. Einige verlängerten ihren Aufenthalt in Nürnberg extra um einen Tag, um an der Veranstaltung teilnehmen zu können.
Am Morgen der Veranstaltung verabschiedeten alle Verlage, die auf der Messe ausstellen, eine Resolution, die aufs Schärfste gegen die Zensur des Veranstaltungstexts des Mehring Verlags protestiert und die Stadt Nürnberg auffordert, zukünftige Zensurversuche gegen Buchvorstellungen der Linken Literaturmesse zu unterlassen.
Zahlreiche Messebesucher reagierten mit Empörung auf die Zensur, unterstützten den Mehring Verlag und nahmen sich mehrere Flugblätter mit, um sie unter Freunden und Kollegen zu verteilen. Viele stellten den Angriff auf die Meinungsfreiheit auf der Buchmesse in den Kontext des allgemeinen Abbaus demokratischer Rechte in Deutschland sowie der Errichtung einer Diktatur in den USA.
Mehrere Kommentare auf Social Media verwiesen auch auf die Geschichte Nürnbergs: „Hat die Stadt Nürnberg vergessen, wo 1945 die Nazi-Prozesse stattfanden? Deshalb hat die Stadt Nürnberg eine besondere Verantwortung, Kriegsverbrechen zu bekämpfen“, schreibt eine Userin auf TikTok. In einem weiteren Post wird daran erinnert, dass Nürnberg nicht nur der Ort der Kriegsverbrecherprozesse, sondern auch der NS-Reichsparteitage und der Nürnberger Gesetze war. Ein anderer User schreibt: „Die Kriegsverbrechen, die der IGH [Internationale Gerichtshof] anprangert, hat der Bundestag zu verantworten. Die Bürger waren von Anfang an dagegen.“
Die Veranstaltung war vor diesem Hintergrund von zentraler Bedeutung. Der Referent Peter Schwarz, Mitglied der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, erklärte einleitend, dass die Veranstaltung 80 Jahre nach den Nürnberger Prozessen stattfindet, in denen die Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus verurteilt wurden.
Dass die Stadt Nürnberg nun erkläre, dass man die Verbrechen der kapitalistischen Regierungen nicht beim Namen nennen dürfe, weil dies den Holocaust relativieren würde, „stellt die Bedeutung der Nürnberger Prozesse auf den Kopf. Sie sollten dafür sorgen, dass nie wieder Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen werden – oder dass die Verantwortlichen für solche Verbrechen mit harten Strafen rechnen müssen.“
Schwarz zeigte auf, worauf das Argument der Stadtverwaltung hinausläuft: „Aus einer Waffe gegen Kriegsverbrechen verwandelt sie die Nürnberger Prozesse so in eine generelle Amnestie für sie. Man darf ein Verbrechen nicht mehr Verbrechen nennen, weil man damit ein anderes Verbrechen relativiert.“
In diesem Kontext stellte Schwarz das erste Buch von David North „Die Logik des Zionismus: Vom nationalistischen Mythos zum Genozid in Gaza“ vor, dass den Hintergrund des aktuellen Völkermords erläutert und nachweist, dass das zionistische Projekt von Anfang an auf einer reaktionären Ideologie beruhte.
Bis zur deutschen Katastrophe 1933 habe ein großer Teil der jüdischen Arbeiter und Intellektuellen die eigene Emanzipation mit der Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft verbunden und sich an der marxistischen Bewegung orientiert, so Schwarz.
Der Zionismus, den Theodor Herzl in den 1890er Jahren entwickelte, richtete sich direkt gegen diese sozialistische Perspektive. Er stellte dem Internationalismus der sozialistischen Arbeiterbewegung die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina entgegen.
Schwarz zitierte David North:
Die Aufrechterhaltung eines jüdischen Apartheidstaats, der das palästinensische Volk gewaltsam unterdrückt und zugleich innenpolitisch in Richtung Faschismus geht, ist untrennbar mit der Rolle Israels als Dreh- und Angelpunkt des Imperialismus im Nahen Osten verbunden.
Die amerikanische Unterstützung für Israel habe also nichts mit Sympathien für die Juden oder Wiedergutmachung für den Holocaust zu tun, erläuterte Schwarz. „Die USA bewaffnen Israel – darin sind sich Republikaner und Demokraten einig –, weil sie es brauchen und benutzen, um den Nahen Osten zu dominieren.“ Dasselbe gelte für Deutschland.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Reden von David North zum 1. Mai, die im zweiten präsentierten Buch Ein Warnruf: Sozialismus gegen Krieg erschienen sind, zeichnen die Eskalation des Imperialismus und die wachsende Gefahr eines dritten Weltkriegs nach. Schwarz erklärte:
Sie zeigen, dass dieselben Widersprüche, auf die die herrschende Klasse mit Krieg und Diktatur reagiert, auch die objektiven Voraussetzungen für die Verschärfung des Klassenkampfs und für die sozialistische Revolution schaffen. …
Ursache dieses eskalierenden Kriegs ist – wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg – die Unvereinbarkeit des bürgerlichen Nationalstaats mit dem internationalen Charakter der Weltwirtschaft. Die imperialistischen Mächte stillen ihren Hunger nach Rohstoffen, Absatzmärkten und billigen Arbeitskräften nicht mehr durch friedlichen Wettbewerb, sondern durch eine gewaltsame Neuaufteilung der Welt.
Abschließend hob Schwarz hervor, dass es für einen erfolgreichen Kampf gegen Krieg eine sozialistische Perspektive braucht. Er zitierte aus Norths Rede zum Maifeiertag 2023:
Die Gefahren, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, sollten nicht heruntergespielt werden. Die erste Aufgabe eines echten Revolutionärs besteht darin, festzustellen, was ist. Dies erfordert jedoch anzuerkennen, dass die objektive Realität nicht nur die Gefahr eines Dritten Weltkriegs und der Vernichtung der Menschheit birgt, sondern auch das Potenzial für die sozialistische Weltrevolution und einen gewaltigen Fortschritt der menschlichen Zivilisation.
Das Programm der Vierten Internationale, der vom Internationalen Komitee geführten Weltpartei der sozialistischen Revolution, besteht darin, dieses Potenzial durch den Aufbau einer Massenbewegung gegen den imperialistischen Krieg und den Kampf für den Übergang der Macht an die Arbeiterklasse zum Aufbau des Sozialismus auf der ganzen Welt zu verwirklichen.
Der Vortrag stieß auf große Resonanz im Publikum. Immer wieder applaudierten die Zuschauer an entscheidenden Stellen der Rede. Im Anschluss kamen viele Besucher an den Messestand des Mehring Verlags, um die politische Diskussion fortzusetzen und die beiden Bücher sowie weitere marxistische Literatur zu erwerben.
Die World Socialist Website wird in den kommenden Tagen eine Video-Aufnahme des Vortrags veröffentlichen. Der Autor der beiden vorgestellten Bücher, David North, spricht am 18. November in Berlin zum Thema „Wohin geht Amerika? Sozialismus oder Barbarei“.
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