Die diktatorische rechte Regierung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist nach der Aufdeckung eines massiven Korruptionsskandals, bei dem es um 100 Millionen Dollar geht, schwer angeschlagen. Bisher mussten zwei Minister zurücktreten, und ein ehemaliger Geschäftspartner Selenskyjs wurde sanktioniert.
Der Skandal wurde am 10. November aufgedeckt, als die nationale Antikorruptionsbehörde (NABU) und die Sonderstaatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung (SAP) das Resultat einer Untersuchung bekannt gaben. Die seit 15 Monaten andauernde Untersuchung hatte ergeben, dass mehrere führende Mitglieder der ukrainischen Regierung in einen Veruntreuungsskandal um den staatlichen Atomenergiekonzern Energoatom verwickelt sind.
Energieministerin Switlana Hryntschuk und Justizminister Herman Haluschenko mussten zurücktreten. Sie hatten angeblich Zahlungen von Baufirmen in Höhe von zehn bis fünfzehn Prozent des Auftragswerts erhalten; bei den betroffenen Projekten ging es um die Energieinfrastruktur der Ukraine.
Zu weiteren mutmaßlichen Komplizen bei der Intrige gehören der ehemalige stellvertretende Premierminister Oleksij Tschernyschow und Timur Minditsch, ein enger Vertrauter Selenskyjs und Miteigentümer von Selenskyjs ehemaligem Fernsehstudio Kwartal 95. Minditsch, der sich nach Israel abgesetzt hat, soll Berichten zufolge im Vorfeld vor der Razzia gewarnt worden sein.
Minditsch und ein weiterer enger Geschäftspartner, der ukrainische Oligarch Igor Kolomoiski, hatten eine entscheidende Rolle dabei gespielt, den ehemaligen Komiker Selenskyj bei den Präsidentschaftswahlen 2019 an die Macht zu bringen. Selenskyj reiste während des Wahlkampfs sogar in Minditschs gepanzertem Privatwagen und war Eigentümer eines Luxus-Apartments im gleichen Gebäude wie Minditsch. Dort fanden die Ermittler der NABU ein mit Gold verkleidetes Badezimmer, das Minditsch für sich hatte bauen lassen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Selenskyj nichts von Minditschs massiven Unterschlagungen wusste, obwohl mehrere Minister seiner eigenen Regierung daran beteiligt waren.
Die NABU beschuldigt neben Minditsch auch den ehemaligen stellvertretenden Premierminister Oleksij Tschernyschow, einen bekannten Freund und Verbündeten Selenskyjs, dem sie die Annahme von über 1,2 Millionen Dollar in bar vorwirft.
Die schiere Dreistigkeit der Unterschlagungen hat in der Bevölkerung helle Empörung ausgelöst. Dies ist der Grund, dass Selenskyj seine ehemaligen Partner schnell hat fallen lassen. Am letzten Mittwoch forderte er den Rücktritt von Haluschenko und Hryntschuk sowie deren Ausschluss aus dem Sicherheitsrat.
Premierministerin Julia Swyrydenko hatte ursprünglich nur die „Suspendierung“ Haluschenkos angekündigt, doch die ukrainischen „zivilgesellschaftlichen“ Organisationen, die größtenteils von westlichen Geldgebern finanziert werden, hatten dies sofort kritisiert. Kurze Zeit später entließ Selenskyj Haluschenko.
In einem verzweifelten Versuch, sich von seinem ehemaligen Geschäftspartner und persönlichen Freund Minditsch zu distanzieren, sanktionierte Selenskyj auch ihn.
Innerhalb des ukrainischen Staatsapparats und der herrschenden Klasse herrscht große Besorgnis, dass die skandalgeplagte Selenskyj-Regierung stürzen oder so stark an Ansehen verlieren könnte, dass sie den von der Nato unterstützten Stellvertreterkrieg gegen Russland nicht mehr fortsetzen kann.
Der ukrainische Investmentbanker und politische Kommentator Serhij Fursa wurde in der Financial Times mit den Worten zitiert: „Wir können es uns nicht leisten, dass der ukrainische Präsident und die ukrainische Regierung während des Kriegs noch den Rest ihrer Legitimität verlieren. Andernfalls riskieren wir, den Staat auf dieselbe Weise zu verlieren wie im Ersten Weltkrieg, als Desertion an der Front mit massenhafter Verzweiflung und politischer Unruhe zusammenkam.“
Der aktuelle Skandal wurde dadurch verschlimmert, dass Selenskyj Anfang Juli versucht hatte, die Befugnisse der NABU und der SAP einzuschränken – vermutlich, weil er von den massiven Unterschlagungen und Räubereien in seiner Regierung wusste. Die Folge waren die größten Proteste in der gesamten Ukraine seit Beginn des von der Nato unterstützen Stellvertreterkriegs im Februar 2022.
Laut Selenskyj war es notwendig, der Behörde ihre Unabhängigkeit zu nehmen, um „russischen Einfluss“ zu bekämpfen. Gleichzeitig führte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU, der mit Selenskyj verbündet ist, Razzien bei der NABU durch, angeblich um russische Spione zu verhaften.
Aufgrund der Empörung im eigenen Land und einer Intervention seiner westlichen Geldgeber, die die NABU stark unterstützen, um den politischen Apparat der Ukraine zu kontrollieren, musste Selenskyj seinen Versuch, die NABU zu übernehmen, schließlich aufgeben. Doch jetzt sind genau die Skandale, die Selenskyj durch seine Kontrolle über die NABU verhindern wollte, ausgebrochen und erschüttern seine Regierung – zu einem Zeitpunkt, wo die russischen Truppen weiter vorrücken und der Rückhalt für den Krieg im Inland schwindet.
Der ehemalige Präsident Petro Poroschenko, Selenskyjs wichtigster politischer Rivale und Führer der oppositionellen Partei Europäische Solidarität, hat den Rücktritt von Selenskyjs Regierung und die Bildung einer Koalitionsregierung durch die Oppositionsführer gefordert. Poroschenko schrieb auf der Website der Partei Europäische Solidarität:
Die Ukraine ist in einen gefährlichen politischen Sturm geraten (...) Diese ausufernde Krise erfordert eine sofortige Reaktion und die Vereinigung aller gesunden Kräfte der Gesellschaft. In unserer gesamten Geschichte war es das Parlament, das in den schwierigsten Zeiten Verantwortung übernahm und für die Verfassung und die Souveränität eingetreten ist. Heute haben Abgeordnete verschiedener Fraktionen die Chance, einen historischen Schritt zu unternehmen, um das Chaos zu stoppen, welches das Land zerstört, und der ukrainischen Bevölkerung ein Gefühl von Gerechtigkeit zurückzugeben. Deshalb fordert die Partei Europäische Solidarität den Rücktritt des Kabinetts. Die kompromittierte Regierung muss zurücktreten, und das Parlament muss eine neue Koalition bilden. Diese wiederum wird die Regierung ernennen – nicht auf Grundlage von persönlicher Loyalität oder politischer Zugehörigkeit, sondern auf der Grundlage von Professionalität, Patriotismus und Verantwortung. Eine Regierung, die sich den Herausforderungen stellen kann, mit denen der Staat konfrontiert ist. Die Behörden (sowohl das Büro des Präsidenten als auch die Mehrheit) müssen die Verantwortung für die Ernennungen tragen.
Poroschenko, der sich weiterhin regelmäßig mit den imperialistischen Geldgebern der Ukraine in der EU trifft, wurde selbst in zahlreichen Ermittlungen wegen Korruption angeklagt. Er war im Jahr 2019 in einen ähnlichen Korruptionsskandal wie jetzt Selenskyj verwickelt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Selenskyj hatte den „Kampf gegen die Korruption“ zu einem wichtigen Element seines Wahlkampfs als politischer Außenseiter gemacht, um Poroschenko zu besiegen. Poroschenko war nicht nur von zahlreichen Skandalen betroffen, sondern wurde auch für seine Interstützung von rechtem Nationalismus und Militarismus allgemein verachtet.
Selenskyj erklärte im Jahr 2019 über Poroschenko: „Moderne Politiker sind in Ressentiments, Vetternwirtschaft und Geschäftsprojekte verstrickt und nicht in der Lage, die Ukraine zu verändern.“
Nach Selenskyjs Wahlsieg wurden laut Bihus.Info alleine in den ersten zwei Jahren seiner Präsidentschaft etwa 30 Menschen mit Beziehungen zu seiner Familie oder seiner ehemaligen Comedy-Gruppe in hohe Positionen berufen.
Der Korruptionsskandal ist zweifellos Teil der erbitterten Fraktionskämpfe innerhalb des ukrainischen Staatsapparates und der herrschenden Klasse. Er hat aber das Potenzial, den immensen sozialen Widerstand zu mobilisieren, der unter der Oberfläche brodelt.
Laut einer Umfrage vom Sommer glauben 70 Prozent der ukrainischen Bevölkerung, dass ihre Regierung den Krieg, der Schätzungen zufolge bereits hunderttausende Todesopfer gefordert hat, benutzt, um sich zu bereichern. Die jüngsten Enthüllungen bestätigen nachdrücklich, was Arbeiter bereits verstanden haben: Während die ukrainische Arbeiterklasse weiterhin massenhaft an der Front stirbt, bereichert sich die gut vernetzte herrschende Klasse, indem sie dem Staat hunderte Millionen stiehlt – in einem Land, in dem das durchschnittliche Monatsgehalt nur 660 Dollar beträgt.
Seit Beginn des russischen Einmarschs im Februar hat die Ukraine laut Reuters ausländische Finanzhilfen in Höhe von 152 Milliarden Dollar von ihren imperialistischen Geldgebern erhalten. Kriegsgegner wie der ukrainische Trotzkist Bogdan Syrotjuk wurden inhaftiert und zum Schweigen gebracht.
Tatsache ist, dass alle Fraktionen der ukrainischen Oligarchie tief in kriminelle Machenschaften verstrickt sind. Sie sind historisch aus dem offenen Diebstahl von Staatseigentum während der Wiedereinführung des Kapitalismus durch die stalinistische Bürokratie hervorgegangen. Heute betrachten sie den Krieg vor allem als Mittel zur Verteidigung ihrer Klasseninteressen gegen die Arbeiterklasse und als Gelegenheit für die Plünderung öffentlichen Eigentums.
Die Enthüllungen über den unverfrorenen Diebstahl und die Selbstbereicherung der ukrainischen herrschenden Klasse und Regierung inmitten eines Massengemetzels, das fälschlicherweise als Verteidigungskrieg für „Demokratie“ und „Freiheit“ dargestellt wird, untergraben nicht nur die Legitimität des Kriegs, sondern des gesamten sozioökonomischen Systems, das Selenskyj und Poroschenko verteidigen.
Vom Standpunkt der Arbeiterklasse erhöhen die Enthüllungen die Notwendigkeit, unabhängig in die politische Situation einzugreifen. Die Arbeitenden der gesamten ehemaligen Sowjetunion und Europas müssen sich zusammenschließen, um den Kampf gegen Krieg und Kapitalismus und gegen alle Fraktionen der herrschenden Klasse aufzunehmen.
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