174. Die globale Krise warf Großbritannien in eine Periode intensiver Klassenkämpfe, die das Land einer Revolution näher brachten als alles, was sich seit dem Generalstreik von 1926 abgespielt hatte. Als wichtiges Finanzzentrum war Großbritannien infolge der gewaltigen Kapitalzu – und –abflüsse nach dem Zusammenbruch von Bretton Woods besonders verwundbar. Die Wilson-Regierung wurde zu einer Reihe von Abwertungen und Ausgabenkürzungen gezwungen. 1969 legte sie das ‚White Paper‘ (Weißbuch) mit dem Titel „Anstelle von Streit“ (In Place of Strife) vor, das juristische Sanktionen gegen Streiks vorsah.
175. Die SLL warnte davor, dass die Weigerung der Labour-Linken, den Kampf gegen Wilson aufzunehmen, den Weg für die Rückkehr einer konservativen Regierung bereitete und damit zu noch brutaleren Maßnahmen gegen die Arbeiterklasse führen würde. 1968 war der konservative Unterhausabgeordnete Enoch Powell aus dem Schattenkabinett ausgeschlossen worden, nachdem er seine berüchtigte „Ströme-von-Blut“-Rede gehalten hatte, mit der er versucht hatte, Stimmungen gegen Immigranten zu schüren. Aber Powells Bemerkungen waren nur der erste Ausdruck eines Rechtsrucks der Tories, die 1970 eine radikale „freie-Markt“-Agenda angenommen hatten. Auf der Grundlage der monetaristischen Wirtschaftspolitik von Milton Friedman sprachen sie sich für ein Ende der „Rettung“ unprofitabler Konzerne, die Beschneidung sozialer Zuwendungen und eine juristische Offensive gegen wilde Streiks aus.
176. Eine der ersten Amtshandlungen der Heath-Regierung nach ihrer Wahl im Juni 1970 bestand darin, den „Industrial Relations Act“ voranzutreiben, der insbesondere wilde Streiks ins Visier nahm. Während der folgenden vier Jahre war Heath gezwungen, nicht weniger als fünf Mal den Notstand auszurufen, da sich eine millionenstarke Massenbewegung gegen seine Regierung bildete. Im Januar 1972 brach der erste nationale Bergarbeiterstreik seit 1926 aus. Im selben Jahr gingen 23,2 Millionen Arbeitstage wegen Streiks verloren. Massenstreikposten am Saltley Koksdepot in Birmingham, an dem sich Tausende beteiligten, zwang die Regierung, eine 21prozentige Lohnerhöhung zu gewähren.
177. Im Juli wurden fünf streikende Vertrauensleute in den Londoner Docks wegen Aufstellens „Indirekter Streikposten“ (Solidaritätsstreikposten) verhaftet und ins Gefängnis von Pentonville gesteckt. Nach ihrer Verhaftung kam es in allen größeren Häfen zu einem Stillstand, da 170.000 Dockarbeiter in den Streik traten. Drucker in der Fleet Street schlossen sich an, so gut wie alle Zeitungen kamen zum Erliegen, und unter anderen Teilen der Arbeiterschaft kam es zu einer Streikwelle. Eine Gefängnisblockade von Zehntausenden führte zum Eingreifen des bis dahin fast unbekannten Offiziellen Schlichters, der unter Zuhilfenahme Befugnisse aus alter Zeit die Freilassung der Fünf anordnete.
178. Heath hatte die Vorfälle in Nordirland genutzt, um ein neues System im Umgang mit Bürgerprotesten einzuführen, das die Verantwortlichkeit für Notmaßnahmen unter die Kontrolle der Civil Contingencies Unit stellte. Dieser Apparat wurde 1974 gegen einen zweiten Bergarbeiterstreik eingesetzt. Zur Vorbereitung auf die Konfrontation verordnete die Regierung der Industrie eine Drei-Tage-Woche, um Kraftstoffreserven zu sparen, während der Beamtenapparat, die Polizei und das Verteidigungsministerium heimlich in den Alarmzustand versetzt wurden. Am Flughafen Heathrow und an anderen strategisch wichtigen Orten wurden Militärmanöver durchgeführt
179. Heath versuchte, Teile der Mittelklasse zu mobilisieren, indem er für den 28. Februar 1974 unter der Parole „Wer regiert Großbritannien – die Regierung oder die Gewerkschaften?“ Neuwahlen ausrief. Aber er missinterpretierte die politische Stimmung völlig, insbesondere die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse. Trotz Drohungen seitens der Regierung und einer Hexenjagd in den Medien wurden die Bergwerke während des gesamten Wahlkampfs bestreikt. Die entschlossene Antwort der Bergarbeiter veränderte das Gleichgewicht der Klassenkräfte. Es gelang Heath nicht, sich eine Mehrheit zu sichern, aber er weigerte sich vier Tage lang, seine Niederlage einzugestehen. Obwohl Heath scheinbar versuchte, eine Koalition mit der liberalen Partei einzugehen, gab der Leiter des Verteidigungsstabes, Lord Carver, später zu, es habe unter „ziemlich hochrangigen Offizieren“ Diskussionen über einen Einsatz des Militärs gegeben.