Socialist Equality Party (Großbritannien)
Historische und internationale Grundlagen der Socialist Equality Party (Großbritannien)

Wachsende politische Desorientierung in der SLL

180. Dies waren die Ereignisse, auf die sich die britischen Trotzkisten lange vorbereitet hatten. Der Einfluss der SLL wuchs aufgrund ihrer entschlossenen Bemühungen, eine Massenbewegung gegen die Heath-Regierung zu entwickeln. Sie organisierte wichtige Interventionen, z.B. als sie die stalinistische Führung der Betriebsräte bei der Upper Clyde Schiffswerft herausforderte und ihren Vorschlag bekämpfte, ein „Work-in“ zu organisieren, um vom politischen Kampf gegen Heath abzulenken. Die SLL stand auch an der Spitze des Kampfes gegen die Inhaftierung der „Shrewsbury Two“, Des Warren und Ricky Tomlinson, die nach dem Bauarbeiterstreik von 1972 der Verschwörung angeklagt waren. Diese Initiativen führten zu organisatorischen Fortschritten, wie die Ausweitung der Auflage ihrer Tageszeitung „Workers Press„, was ihr politisches Profil schärfte.

181. Von größerer Bedeutung für die langfristige Entwicklung der Bewegung war jedoch die offensichtliche Ungeduld der SLL, was die komplexen Probleme anging, die mit dem Aufbau des Internationalen Komitees verbunden waren. Am deutlichsten wurde dies in ihrer Haltung im Konflikt mit der OCI. Im Juli 1971 hatte die OCI Vertreter der pablistischen Partido Obrero Revolucionario (POR) aus Bolivien, die Spartacist Group und die National Students Association der USA, die Gelder von der CIA erhalten hatte, zu ihrer Jugendveranstaltung nach Essen in Deutschland eingeladen. Im Verlauf der Veranstaltung stimmte die OCI öffentlich gegen einen Antrag der SLL, der erklärte, dass der theoretische Kampf, den das Internationale Komitee führte, die einzige Grundlage war, auf der eine internationale revolutionäre Jugendbewegung gegründet werden konnte. Einen Monat später putschte die bolivianische Armee und stürzte das linke Militärregime unter General Torres. Die POR hatte Torres unterstützt, aber die OCI lehnte jede Überprüfung ihrer Politik ab.

182. Am 24. November 1971 erklärte die SLL den Bruch mit der französischen Sektion. Während viele ihrer Kritikpunkte an der OCI korrekt waren, unternahm sie keine systematische Untersuchung der entscheidenden Fragen der Perspektive, die sich stellten. Im Gegensatz zu dem geduldigen Kampf, den sie gegen die SWP geführt hatte, unternahm die SLL keinen Versuch, eine Fraktion in der französischen Sektion aufzubauen. Healy zögerte, einen solchen kräftezehrenden Kampf zu führen, denn er fürchtete, er könne dem praktischen Eingreifen der SLL in die sich entwickelnde Krise in Großbritannien in die Quere kommen.

Seine Ängste wurden durch die Tatsache verstärkt, dass Positionen ähnlich der OCI innerhalb der zentralen Führung der britischen Sektion laut geworden waren. Auf dem Weltkongress von 1966 hatte Cliff Slaughter zunächst die Formulierung der OCI zur „Rekonstruktion“ der Vierten Internationale unterstützt, bevor er angesichts der politischen Auswirkungen, die durch Robertsons Position offensichtlich wurden, überzeugt wurde, seine Meinung zu ändern. Banda seinerseits hatte wiederholt politische Faszination für solche Figuren wie Mao, Ho Chi Minh und Gamal Abdel Nasser bekundet. In einem Leitartikel für „Die Vierte Internationale“ hatte Banda die vietnamesische Nationale Befreiungsfront als der bolschewistischen Partei ähnlich gelobt. Healy vermied einen Konflikt mit Banda und ließ nur eine kurze Erklärung in der folgenden Ausgabe des Journals zu, in der darauf hingewiesen wurde, dass der Leitartikel die persönliche Meinung des Autors widergespiegelt hätte.

183. Die politischen Ausflüchte der SLL konzentrierten sich auf ihre beharrliche Behauptung, dass es sich bei den Fragen in der Auseinandersetzung mit der OCI nur um abgeleitete Fragen zugrundeliegender philosophischer Differenzen handelte. In ihrer Erklärung zur Spaltung vom März 1972 behauptete die SLL, sie hätte „aus der Erfahrung des Aufbaus einer revolutionären Partei in Großbritannien gelernt, dass ein grundlegender und schwieriger Kampf gegen idealistische Denkweisen notwendig war, der sehr viel tiefer ging als nur um Fragen der Übereinstimmung in Programm und Politik“.[64] Diese Erklärung widersprach Trotzki direkt, der gesagt hatte: „Die Bedeutung des Programms ist die Bedeutung der Partei“ und dass dieses Programm aus einem „gemeinsamen Verständnis der Ereignisse, der Aufgaben“ besteht…“[65]

184. Die Anspielung auf die „Erfahrung des Aufbaus einer revolutionären Partei in Großbritannien“ deutete an, dass die SLL sich von den Lehren der Vierten Internationale aus ihrem Kampf gegen den Stalinismus, die Sozialdemokratie und den Pablismus entfernte, hin zu eher national und empirisch bestimmten Erwägungen. Weil sie sich den politischen Fehlern, die sie beim Bruch mit der OCI gemacht hatte, nicht stellte und sie nicht korrigierte, wurde sie für den enormen sozialen Druck anfällig, der auf sie einwirkte. Dies untergrub die Arbeit des Internationalen Komitees zu genau dem Zeitpunkt, als die Krise des Weltkapitalismus die größtmögliche programmatische Klarheit im Kampf zur Erziehung der neuen Kräfte erforderte, die in verschiedenen Teilen der Welt zum IK gestoßen waren.

185. Ein weiteres Anzeichen für das Abrücken der SLL von ihren trotzkistischen Wurzeln war die Erklärung von Michael Banda vom 6. Dezember 1971 zum indisch-pakistanischen Krieg. Im Gegensatz zur prinzipiellen Haltung der SLL, die noch vor zwei Jahren ein Eingreifen des britischen Staates in Nordirland abgelehnt hatte, unterstützte Bandas Erklärung die Entscheidung der indischen Premierministerin Indira Gandhi, Truppen nach Ost-Pakistan zu entsenden, vorgeblich zur Unterstützung der Bengalischen Befreiungsfront. Die RCL in Sri Lanka unter der Führung von Keerthi Balasuriya nahm die entgegengesetzte Haltung ein und bestand in einer Erklärung vom 8. Dezember darauf, „dass es nicht die Aufgabe des Proletariats ist, einen Teil der kriegerischen Fraktionen der Bourgeoisie zu unterstützen, sondern darin, jeden einzelnen Konflikt im Lager des Klassenfeindes für die Ergreifung der Macht zu nutzen. Das Ziel musste sein, eine föderierte sozialistische Republik zu schaffen, die allein in der Lage wäre, die sozialen und nationalen Hoffnungen von Millionen von Arbeitern auf dem Subkontinent zu erfüllen.“

186. Auf die Haltung der SLL hingewiesen, reagierte Balasuriya mit zwei Briefen. Im ersten hieß es: „Es ist nicht möglich, den nationalen Befreiungskampf des bengalischen Volkes und die freiwillige Vereinigung Indiens auf sozialistischer Grundlage zu unterstützen, ohne sich gegen den indisch-pakistanischen Krieg zu stellen.“ Im zweiten Brief warnte er, dass Bandas enthusiastische Unterstützung für Gandhis Eingreifen auf die Gefahr hindeute, „dass alle Erfahrungen der marxistischen Bewegung hinsichtlich des Kampfes kolonialer Massen aus der Vergangenheit aufgegeben werden“ und dass man in „Richtung einer Revision aller gewaltigen Errungenschaften abdrifte, die die SLL-Führung im Kampf gegen die SWP in der Zeit von 1961 – 1963 gemacht hat.“ Die Kritik der RCL wurde innerhalb des Internationalen Komitees nicht bekannt gemacht. Stattdessen nutzte die SLL ihre führende Position aus, um die Sektion politisch zu isolieren.


[64]

Trotskyism versus Revisionism London 1974, Bd. 6, S. 83 [aus dem Englischen]

[65]

Leo Trotzki, Das Übergangsprogramm, Essen, 1997, S. 165