Das Problem erschöpft sich natürlich nicht mit den Beziehungen zwischen den Generationen. In einer weiteren historischen Perspektive entscheidet sich die Frage an der sozialen Zusammensetzung der Partei und besonders an dem spezifischen Gewicht, das die Fabrik- und Betriebszellen, die Proletarier an der Werkbank in ihr haben.
Die erste Aufgabe der Klasse nach der Eroberung der Macht war der Aufbau eines Staatsapparats, einschließlich der Armee, der wirtschaftlichen Leitungsorgane u. a. Die Proletarisierung des Staats-, des Genossenschaftsapparats usw. führte aber selbst bereits zu einer Schwächung und Verdünnung der wichtigsten Fabrik- und Betriebszellen der Partei sowie zu einem übermäßigen Anwachsen des bürokratischen Personals proletarischer und anderer Herkunft in der Partei. Diesen Widerspruch kann man nur lösen durch wirkliche ökonomische Erfolge, durch ein gesundes Pulsieren des industriellen Lebens und durch einen ständigen Zustrom von Arbeitern, die an der Werkbank verblieben sind, in die Partei. In welchem Tempo dieser grundlegende Prozess sich vollziehen, welche Ebbe- und Flutperioden er durchlaufen wird, ist heute schwer vorherzusagen. Im gegenwärtigen Stadium unserer wirtschaftlichen Entwicklung muss man natürlich alles tun, um eine möglichst große Zahl von Arbeitern an der Werkbank in die Partei einzubeziehen. Aber eine wirkliche Änderung der Zusammensetzung der Partei – z. B. in solchem Maße, dass die Fabrik- und Betriebszellen zwei Drittel der Partei ausmachen – wird nur sehr langsam und nur auf der Grundlage außerordentlicher wirtschaftlicher Erfolge verwirklicht werden können. Jedenfalls müssen wir noch mit einer sehr langen Periode rechnen, in deren Verlauf die erfahrensten und aktivsten Mitglieder der Partei – unter ihnen natürlich auch solche proletarischer Herkunft – die verschiedensten Posten im Staats-, Gewerkschafts-, Genossenschafts- und Parteiapparat einnehmen werden. Und schon das birgt Gefahren, denn darin liegt eine der Quellen des Bürokratismus.
Einen außerordentlich hohen Stellenwert hat in der Partei notwendigerweise die Erziehung der Jugend; so wird das auch in Zukunft sein. Indem wir mit Hilfe der Arbeiterfakultäten, der Parteiuniversitäten und der Fachhochschulen eine neue sowjetische Intelligenzija mit einem hohen Prozentsatz von Kommunisten erziehen, reißen wir zugleich junge proletarische Elemente von der Werkbank – nicht nur für die Zeit des Studiums, sondern im allgemeinen auch für das ganze weitere Leben: Die Arbeiterjugend, die die Hochschulen durchlaufen hat, wird vom Industrie-, Staats- oder Parteiapparat aufgesogen. Das ist der zweite Faktor, der das innere Gleichgewicht in der Partei zuungunsten der wichtigen Fabrik- und Betriebszellen stört.
Die Frage, ob ein Kommunist aus dem proletarischen, dem intellektuellen oder einem anderen Milieu stammt, ist natürlich von Bedeutung. In der ersten Periode nach der Revolution war die Frage nach dem vor dem Oktober ausgeübten Beruf sogar entscheidend, denn die Versetzung von der Werkbank auf diese oder jene Position im Sowjetapparat schien nur eine auf Zeit zu sein. Jetzt hat sich das schon sehr geändert. Zweifellos repräsentieren die Vorsitzenden der Gouvernements-Exekutivkomitees oder die Divisionskommissare einen bestimmten gesellschaftlichen sowjetischen Typus, und das sogar weitgehend unabhängig davon, aus welchem Milieu der einzelne Vorsitzende eines Gouvernements-Exekutivkomitees oder der einzelne Divisionskommissar stammt. In diesen sechs Jahren haben sich relativ stabile Gruppierungen in der sowjetischen Gesellschaft herausgebildet.
Folglich befinden wir uns – zudem für eine relativ lange Frist – in der Situation, dass ein sehr bedeutender und gut ausgebildeter Teil der Partei durch die verschiedenen Führungs-, Leitungs-, Wirtschafts- und Kommandoapparate absorbiert wird; ein anderer bedeutender Teil ist in Ausbildung; ein dritter Teil ist über die Dörfer verstreut und arbeitet auf dem Feld; und nur ein vierter Teil (zahlenmäßig gegenwärtig weniger als ein Sechstel) besteht aus Proletariern, die an der Werkbank arbeiten. Es ist völlig klar, dass das Anwachsen des Parteiapparats und die mit diesem Wachstum verbundenen bürokratischen Tendenzen nicht von den Fabrik- und Betriebszellen herrühren, die der Apparat vereinigt, sondern aus den anderen Funktionen der Partei, die sie mittels der staatlichen Leitungs-, Wirtschafts-, Kommando- und Erziehungsapparate ausübt, erwachsen. Die Quelle des Bürokratismus in der Partei ist also die zunehmende Verlagerung der Aufmerksamkeit und der Energie auf die Regierungsapparate und -institutionen vor dem Hintergrund eines zu langsamen Wachstums der Industrie. Angesichts dieser grundlegenden Tatsachen und Tendenzen müssen wir uns umso klarer Rechenschaft ablegen von den Gefahren, die eine bürokratische Degeneration der alten Kader der Partei mit sich bringt. Die Annahme, die alten Kader seien immun gegen jedwede Gefahr intellektueller Verarmung und opportunistischer Degeneration, allein deshalb, weil sie aus der besten revolutionären Schule der Welt stammen, wäre grob fetischistisch. Nein! Die Geschichte wird von Menschen gemacht, aber die Menschen machen die Geschichte, ihre eigene inbegriffen, keineswegs immer und überall mit Bewusstsein. In letzter Instanz wird die Frage natürlich durch die großen Faktoren von internationaler Bedeutung entschieden: durch den Gang der revolutionären Entwicklung in Europa und das Tempo unseres wirtschaftlichen Aufbaus. Aber es wäre ebenso verfehlt, die ganze Entwicklung fatalistisch nur in Abhängigkeit von diesen objektiven Faktoren zu sehen, wie es verfehlt wäre, eine Garantie nur im eigenen, aus der Geschichte ererbten Radikalismus zu suchen. In einer bestimmten revolutionären Situation und unter bestimmten internationalen Bedingungen kann die Partei den Degenerationstendenzen besser oder schlechter Widerstand leisten – je nach dem Grad der Bewusstheit, mit der sie sich den Gefahren gegenüber verhält, und entsprechend der Aktivität, mit der sie dagegen ankämpft.
Es ist völlig klar, dass die durch die Gesamtsituation hervorgerufene Heterogenität der sozialen Zusammensetzung der Partei den negativen Tendenzen des Apparat-Kurses nicht entgegenwirkt, sondern sie im Gegenteil außerordentlich stärkt. Und es gibt kein anderes Mittel zur Überwindung des Korps- und Behördengeistes gewisser Teile der Partei als deren aktive Eingliederung in das Regime der innerparteilichen Demokratie. Indem der Parteibürokratismus eine völlige »Windstille« gewährleistet und alle und alles entzweit, versetzt er zugleich den Betriebs-, Wirtschafts-, Militär- und Hochschulzellen – auf unterschiedliche Weise – schwere Schläge.
Besonders scharf reagiert, wie wir gesehen haben, die studierende Jugend auf den Bürokratismus. Nicht umsonst hat Genosse Lenin vorgeschlagen, die Studierenden in starkem Maße am Kampf gegen den Bürokratismus zu beteiligen. In ihrer Zusammensetzung und in ihren sozialen Beziehungen repräsentiert die studierende Jugend alle gesellschaftlichen Schichten in unserer Partei und nimmt deren Stimmungen in sich auf. Aufgrund ihrer Jugend und ihrer Sensibilität neigt sie dazu, diesen Stimmungen sofort aktiven Ausdruck zu geben. Sache der studierenden Jugend ist es, zu erklären und zu verallgemeinern. Damit ist in keiner Weise gesagt, dass die Jugend in ihrem gesamten Auftreten und in all ihren Stimmungen gesunde Tendenzen zum Ausdruck bringt. Verhielte es sich so, hieße das, dass entweder in der Partei alles in Ordnung ist, oder dass die Jugend aufgehört hat, Ausdruck ihrer Partei zu sein. Beides zugleich ist nicht möglich. Der Einwand, dass unsere Basis nicht die Hochschulzellen, sondern die Fabrik- und Betriebszellen sind, ist im Prinzip richtig. Aber wenn wir sagen, die Jugend sei ein Barometer, so messen wir ihrem politischen Auftreten ja keine grundlegende, sondern symptomatische Bedeutung bei. Ein Barometer macht nicht das Wetter, sondern zeigt es nur an. Das politische Wetter wird in der Tiefe der Klassen und dort, wo sie miteinander in Berührung kommen, gemacht. Die Fabrikzellen schaffen eine direkte Verbindung zwischen der Partei und der für uns grundlegenden Klasse, dem industriellen Proletariat. Die Dorfzellen schaffen eine sehr viel schwächere Verbindung mit der Bauernschaft. Mit ihr verbinden uns vor allem die Zellen der Armee, die allerdings unter ganz besonderen Bedingungen stehen. Die studierende Jugend, die sich aus allen Schichten und Gruppen der sowjetischen Gesellschaft rekrutiert, spiegelt in ihrer bunten Zusammensetzung alle unsere Plus- und Minuspunkte wider, und wir wären töricht, beobachteten wir ihre Stimmungen nicht mit größter Aufmerksamkeit. Man muss noch hinzufügen, dass ein bedeutender Teil unserer neuen Studentenschaft aus Parteimitgliedern besteht, die über für eine junge Generation bemerkenswerte revolutionäre Erfahrungen verfügen. Ganz zu Unrecht schimpfen jetzt die eifrigsten Apparatschiks über die Jugend. Sie kontrolliert uns und löst uns ab; ihr gehört die Zukunft.
Kommen wir noch einmal auf die Frage zurück, wie die Partei die Heterogenität der durch ihre Funktionen in den Sowjetorganen voneinander getrennten Teile und Gruppen innerhalb der Organisation selbst überwinden kann. Wir sagten schon und wiederholen es nochmals, dass der Bürokratismus in der Partei keineswegs ein absterbendes Erbe irgendeiner vorangehenden Periode ist. Im Gegenteil, diese Erscheinung ist wesentlich neu und ergibt sich aus den neuen Aufgaben der Partei, aus ihren neuen Funktionen, aus den neuen Schwierigkeiten und aus neuen Fehlern.
Das Proletariat verwirklicht seine Diktatur durch den Sowjetstaat. Die Kommunistische Partei ist die führende Partei des Proletariats und folglich auch seines Staates. Und die ganze Frage besteht darin, wie man diese Führung verwirklichen kann, ohne zu sehr mit dem bürokratischen Staatsapparat zu verschmelzen und ohne durch eine solche Verschmelzung der bürokratischen Degeneration zu erliegen.
Die Kommunisten sind innerhalb der Partei und innerhalb des Staatsapparats in verschiedener Weise gruppiert. Im Staatsapparat befinden sie sich in hierarchischer Abhängigkeit voneinander und in komplizierten personellen Beziehungen zu den Parteilosen. Innerhalb der Partei sind sie alle gleichberechtigt, soweit es um die Bestimmung der grundlegenden Aufgaben und Methoden der Parteiarbeit geht. Kommunisten arbeiten an der Werkbank, sind Mitglied eines Betriebskomitees, leiten Betriebe, einen Trust oder ein Syndikat, sie stehen an der Spitze des Obersten Volkswirtschaftsrates usw. Was die Führung der Wirtschaft durch die Partei angeht, so berücksichtigt sie die Erfahrungen, Beobachtungen, Meinungen aller ihrer Mitglieder, die auf verschiedenen hierarchischen Stufen der Wirtschaftsverwaltung platziert sind – und muss sie berücksichtigen. Darin besteht der grundsätzliche und unvergleichliche Vorzug unserer Partei, dass sie in jedem Moment die Industrie mit den Augen eines kommunistischen Drehers, Gewerkschafters, Direktors oder eines roten Kaufmanns betrachten kann und, die einander ergänzenden Erfahrungen aller dieser Mitarbeiter zusammenfassend, die Linie ihrer Wirtschaftsleitung im allgemeinen und im jeweiligen Teilbereich festlegen kann.
Offensichtlich ist eine solche wirkliche Parteiführung nur auf der Grundlage einer lebendigen und aktiven Parteidemokratie realisierbar. Und umgekehrt: Je größer das Übergewicht der Apparat-Methoden wird, desto mehr wird die Führung der Partei durch das Administrieren ihrer ausführenden Organe ersetzt (Komitees, Büros, Sekretäre usw.). Wir sehen, dass sich bei einer Verstärkung dieses Kurses alle Angelegenheiten in den Händen einer kleinen Gruppe von Personen konzentrieren – manchmal eines einzigen Sekretärs, der ernennt, ablöst, Direktiven gibt, zur Verantwortung ruft usw. Bei einer derartigen Degeneration der Führung tritt der grundlegende und unschätzbare Vorzug der Partei – ihre vielgestaltige kollektive Erfahrung – in den Hintergrund. Die Leitung wird zu einer rein organisatorischen und kommt nicht selten auf einfaches Kommandieren und auf Herumgezerre herunter. Der Parteiapparat dringt in immer detailliertere Aufgaben und Probleme des Sowjetapparats ein, lebt mit dessen alltäglichen Sorgen, unterliegt seinem Einfluss und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wenn die Parteiorganisation als Kollektiv immer reicher an Erfahrungen ist als jedes beliebige Organ des Staatsapparats, so kann man dies keineswegs von den einzelnen Funktionären des Parteiapparats sagen. Tatsächlich wäre es naiv zu glauben, ein Sekretär verkörpere kraft seines Amtes die ganze Summe von Kenntnissen und Erfahrungen, die für die Führung der Partei erforderlich sind. In der Praxis schafft er sich einen Hilfsapparat mit bürokratischen Abteilungen, bürokratischen Informationen und papierenen Bescheinigungen; durch diesen Apparat, der ihn dem Sowjetapparat näherbringt, grenzt er sich von der lebendigen Partei ab. Es geht nach dem bekannten deutschen Wort: »Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.« Der bürokratische Alltag des Sowjetstaats beeinflusst den Parteiapparat und bewirkt seine bürokratische Veränderung. Die Partei als Kollektiv spürt nicht, dass sie den Staatsapparat führt – und führt ihn auch nicht. Darum gibt es Unzufriedenheit oder Missverständnisse sogar dann, wenn die Führung tatsächlich richtig handelt. Aber sie kann sich nicht auf der richtigen Linie halten, wenn sie sich verzettelt und keinen systematischen, planmäßigen und kollektiven Charakter annimmt. Auf diese Weise zerstört der Bürokratismus nicht nur den inneren Zusammenhalt der Partei, sondern schwächt auch ihren korrigierenden Einfluss auf den staatlichen Apparat. Das spüren und begreifen gerade diejenigen am wenigsten, die am lautesten schreien, wenn es um die führende Rolle der Partei gegenüber dem Sowjetstaat geht.