Am Freitag traf sich der neue brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von der Partido dos Trabalhadores (PT) bereits zum zweiten Mal seit dem faschistischen Angriff auf Regierungsgebäude in Brasilia am 8. Januar mit der Militärführung.
Nach dem Treffen entließ Lula den Chef der brasilianischen Armee, Julio César de Arruda. Wie die Streitkräfte auf ihrer Website mitteilten, wird General Tomás Ribeiro Paiva sein Nachfolger. Paiva führte bislang das Militärkommandos im Südosten des Landes.
Im Zentrum des Treffens am Freitag stand die Stärkung des brasilianischen Militärs. Am Mittwoch erklärte Lula in einem Interview mit Globonews, es werde hauptsächlich darum gehen, „darüber zu diskutieren, wie die Rüstungsindustrie in diesem Land gestärkt werden kann“.
Zu Tagesordnung der Diskussion erklärte er: „Ich habe jede Teilstreitkraft gebeten, mir die Schwierigkeiten zu schildern, die einer funktionellen Struktur im Weg stehen... damit wir die Produktionskapazität wieder aufbauen können. Das umfasst auch den Einsatz von Militärtechnologie, um eine stärkere, modernere Rüstungsindustrie aufzubauen.“
Der PT-Präsident erklärte, zu seinen Zielen gehöre die „Dynamisierung der Militärpatente, die wir bereits haben, die Dynamisierung der Entwicklung eines Atom-U-Boots und die Dynamisierung anderer Dinge, die Brasilien braucht, um ein respektiertes Land zu sein. Unsere Streitkräfte müssen bereit sein.“
Um diese Ziele „wirksam in die Praxis umzusetzen“, hat Lula den Präsidenten des Industrieverbands von São Paulo (FIESP), Josué Gomes, eingeladen, an seinem Treffen mit der Militärführung teilzunehmen. Er erklärte stolz, die FIESP – die gleiche Wirtschaftslobby-Organisation, die vor sieben Jahren öffentlich für die Amtsenthebung der PT-Präsidentin Dilma Rousseff auftrat – habe ein „Projekt für die Rüstungsindustrie“.
Die neue PT-Regierung propagiert diese militaristische Kampagne, obwohl Lula selbst vor nicht einmal zwei Wochen erklärt hatte, seiner Regierung drohe die Gefahr eines Militärputsches.
Vor zwei Wochen erklärte Lula bei einer Pressekonferenz, wenn er tatsächlich einer Operation zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung (GLO) zugestimmt hätte, wie es sein Verteidigungsminister und der Oberbefehlshaber der Armee vorgeschlagen hatten, „wäre es zum Putsch gekommen“. In diesem Fall, so Lula, hätte er abdanken müssen, „sodass ein General die Regierung hätte übernehmen können“.
Am Mittwoch sprach Lula in dem Interview mit Globonews erneut über die Hintergründe der Ereignisse vom 8. Januar. Er gab im Wesentlichen zu, dass er mit einem Sabotageakt der Militärführung konfrontiert war.
Der Präsident behauptete, bei seiner Abreise aus der brasilianischen Hauptstadt zwei Tage vor dem Sturm auf die Regierungsgebäude sei ihm mitgeteilt worden, dass sich „nur 150 Personen im Lager [von Bolsonaros faschistischen Unterstützern beim Hauptquartier der Streitkräfte] befanden und keine weiteren Busse mehr hinein durften... Und als es geschehen war, erfährt man dann, dass in den sozialen Netzwerken mehr als eine Woche lang dazu aufgerufen wurde!“
Lula erklärte: „Wir haben Informationen vom Militärgeheimdienst, vom GSI [Gabinete de Segurança Institucional], Informationen von der Marine und der Luftwaffe. ... Fakt ist, dass keiner dieser Geheimdienste den Präsidenten der Republik gewarnt hat, dass so etwas hätte passieren können.“
Die Journalistin Natuza Nery, die das Interview führte, fragte den Präsidenten, warum er dann keine „energischere Haltung gegenüber dem Militär, dem Verteidigungsministerium und dem GSI“ eingenommen oder sogar „sofort die [Militär]-Führung ausgewechselt hat, die gerade die Kontrolle übernommen hatte“. Darauf erklärte Lula: „Wir dürfen keine Hexenjagd veranstalten. ... Mein Bedauern gilt der Tatsache, dass es Nachlässigkeit gab.“
In dem Interview gab Lula erstmals eine Einschätzung zu der Rolle ab, die sein Vorgänger Jair Bolsonaro möglicherweise am 8. Januar gespielt hat. Er erklärte, das Schweigen des faschistischen Ex-Präsidenten erwecke bei ihm den Eindruck, er habe „viel mit den Ereignissen zu tun gehabt. ... Möglicherweise hat Bolsonaro gehofft, er könne nach einem erfolgreichen Putsch glorreich nach Brasilien zurückkehren. Dann könnte ich keine GLO mehr bewilligen.“
Seit dem Angriff in Brasilia wurden die Untersuchungen gegen Bolsonaro und seine Verbündeten intensiviert. Bolsonaros Justizminister Anderson Torres, der seit dem Ende von Bolsonaros Amtszeit Sicherheitssekretär des Bundesdistrikts ist und von Gouverneur Ibaneis Rocha dazu ernannt wurde, wurde letzten Samstag wegen des Verdachts der Zusammenarbeit mit den Pro-Putsch-Demonstrationen verhaftet.
Zwei Tage zuvor hatte die Bundespolizei in Torres' Wohnsitz den Entwurf eines Dekrets beschlagnahmt, das es Bolsonaros Regierung ermöglicht hätte, einen Verteidigungsfall (eine noch schärfere Militärintervention als eine GLO) über das Oberste Wahlgericht (TSE) zu verhängen. Das Dokument, das bereits nach kurzer Zeit als „Putsch-Entwurf“ bezeichnet wurde, deutet darauf hin, dass sich der faschistische Ex-Präsident in den mehr als zwei Monaten zwischen der Bekanntgabe des Wahlergebnisses und Lulas Amtseinführung, in denen er sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte, auf einen möglichen Staatsstreich vorbereitet hat, dessen Grundlage die Aussetzung des Wahlsystems durch das Militär war.
Dass die Streitkräfte inzwischen ihren Bericht über die Wahlen veröffentlicht haben, in dem sie wahrheitswidrig behaupten, ein „relevantes Risiko für die Sicherheit des Verfahrens“ identifiziert zu haben, zeigt ihre direkte Beteiligung an Bolsonaros diktatorischem Komplott.
Eine Ausweitung der Untersuchungen ist von Anfang an von der Hartnäckigkeit begrenzt, mit der Lula versucht, das Militär und die rechtsextremen Kräfte, die den brasilianischen Staat dominieren, zu beschwichtigen und sich ihnen anzunähern.
Die brasilianische Bourgeoisie begrüßt diese Bestrebungen. Die rechte Zeitung Estado de São Paulo, die als Sprachrohr eines Teils der Streitkräfte agiert, lobte Lula für seine Versöhnung mit dem Militär. In einem Leitartikel vom Freitag räumte die Zeitung ein, dass in Lulas ersten beiden Amtszeiten von 2003 bis 2010 bei den „drei Teilstreitkräften das spektakulärste Modernisierungsprogramm seit Jahrzehnten“ durchgeführt worden ist.
Estado fügte jedoch hinzu: „Die Oberbefehlshaber stellen [heute] noch andere, eher subjektive Forderungen.“ Dazu gehören garantierte politische Autonomie für die Streitkräfte und ein Verzicht auf Einmischung der Regierung in die Lehrpläne der Militärschulen, in denen der Militärputsch von 1964 und die darauf folgende, zwei Jahrzehnte dauernde brutale Diktatur verherrlicht werden.
Über die politische Bedeutung des Treffens zwischen Lula und dem Militär am Freitag schrieb Estado, es handele sich um einen „Pakt der Koexistenz“.
Die Reaktion der PT auf die brutalen faschistischen Drohungen, die bereits in den ersten Wochen ihrer Amtszeit aufgetaucht sind, hat einen durch und durch reaktionären Charakter. Während sie versucht, sich selbst an der Macht zu halten, indem sie sich die Stärke des Militärs zunutze macht – was das Potenzial für einen künftigen Putsch nur noch weiter stärkt –, benutzt Lulas Regierung die Drohungen, um jede Einschränkung der kapitalistischen Profitinteressen für unmöglich zu erklären.
Letzte Woche nahm Wirtschaftsminister Fernando Haddad, ein führendes Mitglied der PT, am Weltwirtschaftsforum in Davos teil. Am Rande der Veranstaltung erklärte er gegenüber der Financial Times, der jüngste Angriff in Brasilia habe gezeigt, dass „die Opposition gegen Lula aus Extremisten bestehen wird“, und dass „wir deshalb die Geschwindigkeit, mit der wir unser Programm umsetzen, sehr sorgfältig überdenken müssen... um nicht zum Ziel von Fake News und Unruhen zu werden“.
Mit anderen Worten versicherte Haddad den anwesenden Milliardären in Davos, dass sie von der PT-Regierung in Brasilien nichts zu befürchten haben. Um die Bedeutung seiner Worte noch klarer zu machen, erklärte er: „Es ist nicht einfach, die Steuern für Reiche anzuheben, weil viele Abgeordnete über Vermögen und hohe Einkommen verfügen... Wir müssen die Leute erst zum Umdenken bringen.“
Neben der Besteuerung der Reichen war das wichtigste soziale Versprechen der PT im Wahlkampf die Erhöhung des monatlichen Mindestlohns, der momentan 1.302 Reais (230 Euro) beträgt. Vor zwei Wochen kündigte Haddad jedoch an, selbst die bescheidene Erhöhung um 18 Reais (3,20 Euro) sei dieses Jahr nicht möglich.
Angesichts der rasant steigenden Inflation, der explodierenden sozialen Ungleichheit und des weit verbreiteten Hungers in Brasilien richtet sich die angeblich „linke“ PT-Regierung bereits in den ersten Wochen ihrer Amtszeit auf eine Erhöhung der Militärausgaben und das Einfrieren der Sozialausgaben aus. Um die faschistischen Kräfte und das Militär zu beschwichtigen, schafft die pro-kapitalistische PT-Regierung die Grundlagen für eine Explosion der Wut in der Arbeiterklasse.
Unter diesen Bedingungen haben die Gewerkschaften und die pseudolinken Parteien ihre Unterstützung für diese arbeiterfeindliche Regierung erneut unterstrichen. Ebenfalls am Mittwoch empfing Lula Vertreter der brasilianischen Gewerkschaftsverbände, die ihre „Solidarität mit der Regierung“ erklärten. Lula versprach ihnen daraufhin, neue Mittel zur Finanzierung der Gewerkschaften bereitzustellen.
Eine besonders kriminelle Rolle spielte der pseudolinke Gewerkschaftsbund CSP-Conlutas, der von der morenistischen Vereinigten Sozialistischen Arbeiterpartei (PSTU) kontrolliert wird. Nur zwei Tage vor Lulas Treffen mit der Militärführung forderten die PTSU-Gewerkschaftsfunktionäre massive staatliche Investitionen in die Rüstungsindustrie, angeblich um Arbeitsplätze zu sichern.
Der militaristische Kurswechsel der PT und der brasilianischen Pseudolinken ist eng mit dem Kurs auf einen dritten imperialistischen Weltkrieg verbunden.
In dem Interview vom Mittwoch wurde Lula nach den Ähnlichkeiten zwischen Bolsonaros rechtsextremer Bewegung in Brasilien und derjenigen von Bolsonaros Verbündetem und politischem Mentor Donald Trump in den USA gefragt. Der PT-Präsident gab zu, dass es sich um ein globales Phänomen handelt und erklärte: „Überall entstehen rechtsextreme Gruppierungen.“
Als Reaktion auf diese globale politische Bedrohung erklärte Lula: „Ich habe bereits mit Menschen in Frankreich, Spanien und Deutschland gesprochen. Wir müssen die progressiven und demokratischen Völker der Welt bei einem Treffen vereinen, damit wir ein konfrontatives Vorgehen mit dem Ziel, das Wiederaufleben von Nazismus oder Faschismus zu verhindern, organisieren können.“
Er wies insbesondere auf seine für die kommenden Wochen geplanten Treffen mit US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz hin, die für die Ausarbeitung einer „antifaschistischen“ Strategie entscheidend seien.
Alle von Lula genannten Länder sind Nato-Mitglieder, die an der Eskalation des Stellvertreterkriegs gegen Russland beteiligt sind und offen faschistische Kräfte wie das Asow-Bataillon in der Ukraine unterstützen. Vor allem Biden und Scholz, die Führer des US- und des deutschen Imperialismus, sind für diesen verbrecherischen Krieg verantwortlich, der zur größten militärischen Konfrontation seit dem Zweiten Weltkrieg geführt hat.
Die militaristische Kampagne, die Verschärfung der kapitalistischen Angriffe und die Vertuschung der Ausbreitung faschistischer Kräfte im brasilianischen Staat, die gemeinsam von der PT und ihren pseudolinken Satelliten gefördert wird, erfordern eine direkte Reaktion der brasilianischen Arbeiterklasse.
Die wichtigste Aufgabe besteht gegenwärtig darin, eine politische Massenbewegung aufzubauen, die für die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse eintritt, sie weltweit gegen Kapitalismus und Imperialismus vereint und für die Umgestaltung der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage kämpft. Dies erfordert den Aufbau der politischen Führung für diesen revolutionären Prozess, d.h. von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale in Brasilien und überall auf der Welt.