Nach dem Militärputsch am letzten Mittwoch legten die Regierungschefs von 15 westafrikanischen Staaten am Sonntag Niger, der ehemaligen französischen Kolonie in Westafrika, ein Ultimatum vor. Sie drohten mit einer Militäraktion, falls der gestürzte Präsident Mohamed Bazoum nicht innerhalb einer Woche wieder in sein Amt eingesetzt wird.
Die Staatschefs der 15 Mitglieder zählenden Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) und der acht Mitglieder zählenden Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion äußerten ihre Drohung nach einem Krisengipfel in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Zuvor hatten die USA, Frankreich und Deutschland, die alle Truppen im Niger stationiert haben, mit der Kürzung von Hilfsgeldern und militärischer Unterstützung gedroht, falls Bazoum nicht wieder eingesetzt wird.
Die ECOWAS erklärte, sie werde „alle notwendigen Maßnahmen“ ergreifen, um die demokratische Herrschaft im Niger wiederherzustellen, „notfalls auch durch den Einsatz von Gewalt“ und die Verhängung von Finanzsanktionen gegen die Verantwortlichen für den Putsch unter Führung von General Abdourahmane Tchiani. Dieser war lange Zeit Befehlshaber der nigrischen Präsidentengarde und hat sich selbst zum Führer einer Übergangsregierung ernannt.
Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte: „Dieser Putsch ist völlig unrechtmäßig und zutiefst gefährlich für den Niger, seine Bevölkerung und die ganze Region.“ Am Samstag setzte Frankreich die gesamte Entwicklungs- und Haushaltshilfe aus, die im Jahr 2022 bei 120 Millionen Euro lag. Im Niger befindet sich seit dem erzwungenen Rückzug Frankreichs aus Mali im Jahr 2021 der größte französische Stützpunkt in der Region.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) begrüßte in einem Statement „die Bemühungen von Afrikanischer Union und ECOWAS“ und rief „die Putschistenführer“ auf, „zum Wohle ihres Landes... nicht länger an der Macht fest[zu]halten.“ Die „ohne jegliche Grundlage festgehaltenen Mitglieder der demokratischen Regierung“ müssten „unverzüglich freigelassen und die Macht wieder an diese zurückgegeben werden.“ Mit „der Aussetzung der Entwicklungszusammenarbeit“ habe die Bundesregierung „erste Konsequenzen gezogen“. Für die deutschen Großmachtbestrebungen in Afrika spielt der Niger eine wichtige Rolle. Erst im Mai hatte der Bundestag einen neuen Einsatz der Bundeswehr auf den Weg gebracht.
Auch die Europäische Union stellte laut einer Erklärung des EU-Außenpolitikbeauftragen Josep Borrell vom Samstag die gesamte Haushalts- und Sicherheitshilfe, die von 2021 bis 2024 503 Millionen Euro betragen sollte, mit sofortiger Wirkung ein.
US-Außenminister Antony Blinken forderte die sofortige Freilassung Bazoums und bot Washingtons „unermüdliche Unterstützung“ an. Er warnte, die sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen den USA und dem Niger seien in Gefahr. Seit 2012 haben die USA Niger mit Hilfen in Höhe von 500 Millionen Dollar unterstützt, darunter ein 100 Millionen Dollar teurer Luftwaffenstützpunkt fünf Kilometer südöstlich von Agadez, wodurch Niger der größte Empfänger von US-Hilfe in Westafrika ist.
Am Freitag gab die Afrikanische Union eine Erklärung heraus, in der sie die Rückkehr des Militärs in seine Kasernen und die Wiedereinsetzung des Präsidenten innerhalb von 15 Tagen forderte.
Möglicherweise wurde Bazoum gestürzt, weil er versuchte, das Oberkommando des Militärs zu wechseln. Obwohl er mitsamt seiner Familie im Präsidentenpalast in der Hauptstadt Niamey festgesetzt wurde, stand er in telefonischem Kontakt mit führenden Politikern auf der ganzen Welt darunter auch Blinken. Sein Wahlsieg im Jahr 2021 war der erste demokratische Machtübergang im Niger, das seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 vier Militärputsche erlebt hat.
Tchiani erklärte am Freitag im staatlichen Fernsehen, er habe die Kontrolle über die Regierung übernommen, um den „schrittweisen und unvermeidlichen Niedergang“ des Landes zu verhindern und bezeichnete sich als „Präsident des Nationalen Rats zum Schutz des Heimatlands“. Er erklärte, Bazoum habe die Bevölkerung davon überzeugen wollen, dass „alles in Ordnung ist... Aber die harte Realität [ist] ein Haufen Toter, Vertriebener, Erniedrigung und Frustration. ... Der heutige Sicherheitsansatz hat dem Land trotz großer Opfer keine Sicherheit gebracht.“ Damit meinte er Nigers Abhängigkeit von der militärischen Unterstützung durch Frankreich.
Oberst Amadou Abdramane, ein Sprecher der Putschisten, erklärte, das Militär habe die Grenzen des Niger geschlossen, eine landesweite Ausgangssperre verhängt und alle staatlichen Institutionen vorübergehend suspendiert. Er warnte vor einer ausländischen Intervention und erklärte: „Jede ausländische Militärintervention, gleich welcher Art, birgt das Risiko katastrophaler und unkontrollierbarer Folgen für unsere Bevölkerung und das Chaos in unserem Land.“
Das französische Präsidialbüro erklärte: „Wenn es zu Angriffen auf französische Staatsbürger, das Militär, Diplomaten oder französische Interessen kommen sollte, wird Frankreich sofort und entschlossen reagieren... Der Präsident der Republik wird keine Angriffe auf Frankreich und seine Interessen tolerieren.“ Als Reaktion darauf versuchten Unterstützer der Putschisten am Sonntag, die französische Botschaft in Brand zu setzen und skandierten ihre Unterstützung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin – obwohl der Kreml die Freilassung Bazoums gefordert hatte.
Macron befand sich auf einer Reise in die ehemaligen französischen Kolonien Vanuatu und Neukaledonien im Pazifik, um Frankreichs Interessen in der Region zu bekräftigen – nicht nur gegen Peking, sondern auch gegen Washington.
Hinter den Drohungen der imperialistischen Mächte und des ehemaligen Kolonialherren von Niger, der keine Hemmungen hat, im Interesse der französischen Finanzelite jeden Widerstand gegen seine Herrschaft zu unterdrücken, verbirgt sich die große Befürchtung, der Putsch könnte ihre räuberischen Interessen in der Region gefährden.
Der Binnenstaat Niger hat sich zu einem immer wichtigeren Verbündeten bei den Bemühungen der imperialistischen Mächte entwickelt, islamistische Aufstände in der rohstoffreichen, aber verarmten Sahelzone zu unterdrücken, vor allem nachdem die Militärführungen von Mali und Burkina Faso nach den gescheiterten Militäroperationen Barkhane und Sabre den Rückzug ihrer Truppen gefordert haben. Dieser jüngste Putsch ist der sechste in der Sahelzone seit 2020 – einer in Guinea und jeweils zwei in Burkina Faso und Mali. Der Nachbarstaat Mali hatte Frankreich im Jahr 2021 gezwungen, seine Soldaten zugunsten der russischen Wagner-Gruppe abzuziehen, die von der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Frankreich sowie anderen westlichen Ländern zu den Sahel-Staaten profitieren konnte.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin unterstützte den Putsch und erklärte am Donnerstag: „Was in Niger passiert ist, ist ein Kampf der Bevölkerung gegen die Kolonisatoren. ... Es bedeutet tatsächlich, die Unabhängigkeit zu gewinnen.“
Der Niger verfügt über einige der weltweit größten Vorkommen von Kobalt, Diamanten, Platin und Uran. Er ist noch vor Kasachstan und Russland der wichtigste Uranlieferant für die Europäische Union. Das Unternehmen Orano (vormals Areva), das sich zu 45 Prozent im Eigentum des französischen Staats befindet, baut seit 1968 rund um die nördliche Wüstenstadt Arlit Uran ab. Auf nur zwei Bergwerke entfällt etwa ein Drittel der weltweiten und viele Milliarden schweren Uran-Gesamtproduktion des Unternehmens; mit dem Uran wird die französische Atomkraft generiert, die nicht nur 70 Prozent des Stroms in Frankreich, sondern auch eines Großteils Europas, einschließlich Deutschlands, liefert.
Die Bergbaukonzession von Orano, die billig als Gegenleistung für Hilfsgelder gekauft wurde, hauptsächlich in Form von Krediten an das Land, hat die Wasservorkommen der Region erschöpft. Nur wenige Menschen in der Gegend haben fließendes Wasser. Daneben hat sie Millionen Tonnen radioaktiver Abfälle verursacht, während der Niger eines der ärmsten Länder der Welt blieb. Mehr als zehn Millionen der 24 Millionen Einwohner Nigers leben in extremer Armut, und etwa 17 Prozent der Bevölkerung brauchen humanitäre Hilfe. Der Jahreshaushalt der nigrischen Regierung umfasst üblicherweise nur einen Bruchteil der jährlichen Einnahmen von Orano.
Nach dem erzwungenen Rückzug aus Mali konzentrierte sich die militärische Unterstützung Frankreichs für Niger auf die Ausbildung der nigrischen Armee und die Bereitstellung von Geheimdienstinformationen und Luftunterstützung unter dem Stichwort „Krieg gegen islamistische Terrororganisationen“ wie al-Qaida, den Islamischen Staat oder Boko Haram.
Der „Krieg gegen den Terror“ der imperialistischen Mächte ist ein Betrug. Die USA, das Vereinigte Königreich, Frankreich und die Nato haben die gleichen Gruppen benutzt, um ihre Stellvertreterkriege in Libyen und vor allem in Syrien zu führen. Nachdem sie 2011 in dem Nato-Krieg gegen Libyen gekämpft hatten, suchten al-Qaida und andere islamistische Gruppen Zuflucht in den Ländern der Sahelzone. Unter dem Vorwand dieser Kriege plünderten imperialistische Mächte wie Frankreich, die USA und Deutschland die reichsten Rohstoffvorkommen Afrikas. Im Oktober 2021 warf der malische Premierminister Choguel Kokalla Maiga der französischen Regierung vor, sie würde heimlich islamistische Terroristen bewaffnen, um den Konflikt in dem Land am Laufen zu halten und die französische Militärbesetzung zu rechtfertigen.
Das zunehmende Blutvergießen in der Region, in der sich viele der ärmsten Staaten der Welt befinden, ist das Ergebnis von Frankreichs mehr als zehn Jahre andauerndem neokolonialem Krieg in der Sahelzone. In Mali, Niger, Burkina Faso und anderen Staaten ist die Gewalt wieder aufgeflammt. Die imperialistischen Mächte wenden eine Politik nach der Leitlinie „Teile und Herrsche“ an, um die Kontrolle über eine Region zu erhalten, die von zahlreichen ethnischen und Stammesgruppen geprägt ist, und sie schüren ethnische Unruhen und blutige Massaker.
Der anhaltende Konflikt in Niger, wo Entführungen, Morde, Diebstahl und Drohungen an der Tagesordnung sind, hat bis Ende März fast 380.000 Menschen zur Flucht gezwungen. Daneben befinden sich mehr als 700.000 Flüchtlinge und Asylsuchende im Land, die meisten aus den Nachbarstaaten Mali und Nigeria. Der Niger ist außerdem ein Durchgangsland für Migranten aus den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, die vor Konflikten und Armut nach Europa fliehen.
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