Die Vereinigten Staaten haben der britischen Regierung „Zusicherungen“ gegeben, um des WikiLeaks-Gründers und Journalisten Julian Assange habhaft zu werden. Er ist derzeit immer noch im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert.
Die USA wollen Assange auf der Grundlage des Spionagegesetzes vor Gericht stellen, was de facto eine lebenslange Haftstrafe impliziert, weil er Dokumente veröffentlicht hat, die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen durch die USA und ihre imperialistischen Verbündeten aufdecken.
Als der High Court des Vereinigten Königreichs Ende letzten Monats den USA die Möglichkeit bot, Zusagen abzugeben und Assange damit der Berufungsmöglichkeit gegen seine Auslieferung zu berauben, schrieb die World Socialist Web Site : „Die Vorschläge des Gerichts sind ein Feigenblatt. Die US-Staatsanwälte werden ‚Zusicherungen‘ abgeben, die ebenso wertlos sind wie die, die bereits zu seinen Haftbedingungen gegeben wurden.“
Dies hat sich bestätigt. Das Gericht hatte Zusicherungen gefordert, dass Assange nicht mit der Todesstrafe bedroht werde, sowie zu zwei weiteren, damit zusammenhängenden Punkten: dass er aufgrund seiner australischen Staatsangehörigkeit im Prozess nicht benachteiligt werde, und dass ihm das Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß dem ersten Zusatzartikel der US-Verfassung gewährt werde.
Die Consortium News haben ein Faksimile des Briefs veröffentlicht, den die US-Botschaft am Dienstag an den britischen Außenminister David Cameron geschickt hat. Darin heißt es:
„Assange wird aufgrund seiner Staatsangehörigkeit in Bezug auf die Verteidigung, die er im Prozess und bei der Verurteilung geltend machen kann, nicht benachteiligt werden. Insbesondere wird Assange im Falle einer Auslieferung die Möglichkeit haben, die Rechte und den Schutz des Ersten Verfassungszusatzes vor Gericht geltend zu machen und sich darauf zu berufen.“ Und weiter: „Eine Entscheidung über die Anwendbarkeit des Ersten Verfassungszusatzes liegt ausschließlich in der Zuständigkeit der US-Gerichte.“
Weiter heißt es dort: „Gegen Assange wird weder ein Todesurteil angestrebt noch verhängt werden ... Diese Zusicherungen sind für alle gegenwärtigen und nachfolgenden Personen verbindlich, denen die Befugnis übertragen wurde, über diese Angelegenheiten zu entscheiden.“
Assanges Frau Stella wies auf die „eklatanten Unwörter“ der ersten Zusicherung hin, die nur besagt, dass Assange offenbar nur versuchen kann, bzw. dass er „die Möglichkeit hat, die Rechte und den Schutz des Ersten Verfassungszusatzes geltend zu machen“. Das garantiert keineswegs, dass er diese Rechte auch erhalten wird.
Nach Recht und Gesetz müsste eine Auslieferung damit von vornherein ausgeschlossen sein.
Abschnitt 87 des britischen Auslieferungsgesetzes (2003) verlangt von den Gerichten, „zu entscheiden, ob die Auslieferung der Person mit den Rechten der Konvention [der Europäischen Menschenrechtskonvention] im Sinne des Menschenrechtsgesetzes von 1998 vereinbar wäre ... Wenn der Richter die Frage ... verneint, muss er die Freilassung der Person anordnen.“
Artikel 10 der Konvention beinhaltet das Recht auf freie Meinungsäußerung. Derselbe Schutz ist im amerikanischen Rechtssystem in Form des Ersten Verfassungszusatzes verankert. Das Schreiben der US-Botschaft lässt jedoch die Möglichkeit offen, dass die US-Gerichte dieses Recht bei ihrem Urteil verweigern werden.
Wie Stella Assange feststellte, enthält das Schreiben „keinerlei Bestätigung, dass die Staatsanwaltschaft ihre frühere Behauptung, Julian könne sich nicht auf den ersten Verfassungszusatz berufen, weil er kein US-Bürger sei, zurückgenommen hat“.
Sowohl der leitende Staatsanwalt Gordon Kromberg als auch der ehemalige CIA-Direktor Mike Pompeo haben diese Behauptung aufgestellt.
Stella Assange fügte hinzu, dass das Leben ihres Mannes mit jedem Tag im Gefängnis mehr gefährdet ist: „Die diplomatische Note trägt nicht dazu bei, die extreme Sorge unserer Familie über seine Zukunft zu lindern: seine düstere Erwartung, den Rest seines Lebens in Isolation in einem US-Gefängnis zu verbringen, weil er preisgekrönten Journalismus veröffentlicht hat.“
Ihre Anklage macht den Zynismus der amerikanischen Zusicherungen bezüglich der Todesstrafe deutlich. Im Fall von Assange wurden umfangreiche medizinische Beweise vorgelegt, die bestätigt haben, dass im Falle einer Auslieferung an die USA und einer dortigen Inhaftierung die Wahrscheinlichkeit eines Suizids sehr hoch ist. Sein geistiger und körperlicher Gesundheitszustand hat sich in den fünf Jahren, die er in Belmarsh einsitzt, dramatisch verschlechtert.
Auch ist es der US-Regierung zuzutrauen, dass sie ihr Versprechen bricht und dafür sorgt, dass Assange „inoffiziell“ umgebracht wird. Schließlich haben ihre Geheimdienste Assange schon in Großbritannien überwacht und durchaus geplant, ihn zu ermorden.
Am selben Tag, an dem die USA ihre „Zusicherungen“ an das Vereinigte Königreich schickten, reichte CIA-Direktor William Burns bei den spanischen Gerichten eine Erklärung ein, die den gesetzlosen Charakter des Falles unterstreicht. Burns behauptete darin: „Die gesetzlichen Privilegien der CIA sind ... zum Schutz von Quellen, Methoden und Aktivitäten des Geheimdienstes gültig“. In dem Gerichtsprozess, bei dem es um den Lauschangriff der CIA gegen Assange geht, weigert sich Burns, die Beteiligung der Agentur zu bestätigen oder zu leugnen oder „faktische Grundlagen für meine privilegierten Aussagen“ zu liefern.
Was die New York Times angeht, die der Demokratischen Partei nahesteht, so hat ihre Berichterstattung über den Fall einen neuen Tiefpunkt erreicht. Sie zitierte zwar mehrere Aussagen von Stella Assange, ließ aber deren Verweis auf Bidens leere Versprechungen („weasel words“) weg, was es der Zeitung ermöglichte, ihren Artikel völlig kritiklos mit der Überschrift „U.S. garantieren Schutzmaßnahmen für Assange für den Fall der Auslieferung“ zu überschreiben.
Die britischen Gerichte werden wahrscheinlich die gleiche naiv–gutgläubige Haltung einnehmen.
Geoffrey Robertson KC, Gründer und gemeinsamer Leiter der Kanzlei Doughty Street Chambers, die Assange vertritt, und selbst ein früherer Anwalt Assanges, erklärte: „Solange man es [das Recht auf freie Meinungsäußerung] nicht garantieren kann, denke ich, dass die britischen Gerichte Zweifel daran hegen müssen, Herrn Assange in eine Situation oder zu einem Prozess auszuliefern, in der er keinen gleichberechtigten Schutz durch die Gesetze genießt.“
Dies wird zweifellos das juristisch einwandfreie Argument sein, das Assanges Anwälte bei der nächsten Anhörung am 20. Mai vorbringen werden. Aber der High Court hat schon in einem früheren Stadium des Falles ebenso wertlose Zusicherungen akzeptiert. Er hat sich darauf gestützt, um die Warnungen vor Assanges erheblicher Suizidgefahr außer Kraft zu setzen. Nach Abschnitt 91 des Auslieferungsgesetzes müsste die Gefahr eines Suizids eine Auslieferung ausschließen.
Die Zusicherungen „garantieren“ angeblich, dass Assange nicht in Amerikas Hochsicherheitsgefängnis, dem ADX Florence, untergebracht oder besonderen Verwaltungsmaßnahmen (Special Administrative Measures, SAM) unterworfen werde. Damit räumen sie implizit ein, dass diese Maßnahmen grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafen sind, wie sie nach Artikel 3 der Menschenrechtskonvention ausdrücklich verboten sind. In jedem Fall wurde die Zusage jedoch nur unter Vorbehalt erteilt. „Die Vereinigten Staaten behalten sich die Befugnis vor, SAM [oder eine ADX-Einweisung] gegen Herrn Assange zu verhängen, falls dieser nach Abgabe dieser Zusicherung in Zukunft eine Handlung begehen würde, die die Voraussetzungen für die Verhängung einer SAM [oder ADX-Einweisung] erfüllen würde“.
Der High Court des Vereinigten Königreichs reagierte darauf in seinem Urteil vom Dezember 2021 äußerst wohlwollend. Er schrieb, dass er „keine berechtigte Kritik an den einzelnen Zusicherungen erkennen kann ... Es gibt keine Grundlage für die Annahme, dass die USA die Zusicherungen nicht in gutem Glauben gegeben haben.“
In ihrem jüngsten Urteil, das Assanges Recht auf Berufung verweigert, sofern die USA die neuen Zusicherungen abgeben, haben die Richter des Obersten Gerichts erneut die Vertrauenswürdigkeit des US-Staates betont. Sie bestritten sogar, dass es „irgendeinen Beweis“ für eine Verbindung gebe zwischen dem CIA-Komplott, Assange zu entführen oder zu vergiften, und dem Versuch der Staatsanwaltschaft, ihn auszuliefern.
Sollte der High Court die Zusicherungen am 20. Mai akzeptieren, wird Assanges Antrag auf Berufung abgewiesen. Dann droht ihm unmittelbar die Auslieferung. Seine Anwälte haben eine vorläufige Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht. Aber selbst wenn das Europäische Gericht zustimmt, den Fall zu verhandeln, ist keineswegs klar, ob Großbritannien sich an die Anweisung dieses Gerichts, Assange bis zur Gerichtsentscheidung nicht auszuliefern, halten wird.
Die juristische Verteidigung ist auch weiterhin lebenswichtig, aber genauso wichtig ist es, dass die arbeitende Bevölkerung versteht, dass Assanges Schicksal von der Verstärkung der weltweiten Kampagne für seine Freilassung abhängt.