Perspektive

Ausverkauf des Streiks bei Boeing soll Lieferketten für Weltkrieg sichern

An einem Streikposten der Boeing-Mechaniker, Renton (Washington)

Nach fünf Wochen Streik beginnt am Mittwoch, den 23. Oktober, für rund 33.000 Boeing-Beschäftigte die Urabstimmung über einen Tarifabschluss, den die Gewerkschaft International Association of Machinists (IAM) ausgehandelt hat. Dieser Abschluss sollte mit großer Mehrheit abgelehnt werden. Er erfüllt keine einzige Forderung der Belegschaft in Bezug auf Löhne, Renten und andere wichtige Anliegen. Außerdem gibt er grünes Licht für die Massenentlassungen, die die Unternehmensleitung bereits eingeleitet hat. Von ihrer Seite handelt es sich sowohl um eine Vergeltungsmaßnahme für den Streik als auch um eine Einsparmaßnahme, um das Geld für die massive Sicherheitskrise aufzubringen, die Hunderte von Menschenleben gefordert hat.

Um den Kampf bei Boeing zu gewinnen, ist eine neue Strategie notwendig. Ihr Ausgangspunkt muss eine Rebellion gegen die IAM-Bürokratie sein, die den Streik von Anfang an nicht wollte und versucht hat, die Streikposten mit minimalen Streikgeldern auszuhungern. Wie das Aktionskomitee „Boeing Workers Rank-and-File Committee“ am Montag schrieb: „Wir müssen für den Grundsatz kämpfen, dass nur die Belegschaft das Sagen hat und nicht Gewerkschaftsfunktionäre, die mit der Geschäftsleitung und der Regierung unter einer Decke stecken.“

Gleichzeitig wirft der Kampf bei Boeing die grundlegende Frage auf, wer die Gesellschaft regiert und in wessen Interesse. Die Rücksichtslosigkeit des Unternehmens muss mit der Forderung beantwortet werden, Boeing zu vergesellschaften, unter Arbeiterkontrolle zu stellen und das gesamte Wirtschaftsleben umzugestalten.

Die Boeing-Beschäftigten haben es nicht nur mit einem miserablen Tarifabschluss oder einem einzelnen Unternehmen zu tun. Die Versuche, den Streik abzuwürgen, stehen in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Kriegspolitik der herrschenden Klasse. Der Tarifabschluss ist auf Kriegszeiten zugeschnitten. Er soll die notwendigen Lieferketten sichern, indem ein Streik in einem großen Rüstungsunternehmen beendet wird. Die Intervention von Arbeitsministerin Julie Su war für die Einigung von entscheidender Bedeutung, ähnlich wie das Eingreifen der Regierung zur Beendigung des Streiks der Hafenarbeiter zu Beginn dieses Monats.

Israels Völkermord in Gaza wird zu einem regionalen Krieg im Nahen Osten ausgeweitet, und der US-Imperialismus steht am Rande eines Krieges mit dem Iran. Gleichzeitig eskalieren die USA ihren Stellvertreterkrieg mit Russland bis hin zu einem atomaren Schlagabtausch und bereiten einen Krieg gegen ihren Hauptrivalen China vor. Insgesamt betrachtet handelt es sich um die Anfangsphase eines Weltkriegs, und die amerikanische herrschende Klasse kann nicht dulden, dass diese Pläne durch den massiven Widerstand der Arbeiterklasse gegen Ausbeutung und Ungleichheit durchkreuzt werden.

Die gesamte Militär- und Wirtschaftspolitik sowie die Innen- und Außenpolitik werden dem Ziel eines totalen Konflikts mit den Rivalen des US-Kapitalismus untergeordnet. Die Regierung Biden prahlte in ihrer nationalen Sicherheitsstrategie 2022 dass sie „die Trennlinie zwischen Innen- und Außenpolitik abgeschafft“ hat.

Ein Kommentar des Wall Street Journal zum Boeing-Streik vom 21. Oktober brachte die strategischen Überlegungen der herrschenden Klasse auf den Punkt. „Die USA befinden sich in einem geopolitischen Wettstreit mit China, der nicht nur durch militärische Macht, sondern auch durch wirtschaftliche und technologische Fähigkeiten bestimmt wird“, schrieb Greg Ip, der leitende Wirtschaftskommentator des Journal. Boeing ist der größte Exporteur von Industrieprodukten in den USA und kann nicht ohne Weiteres ersetzt werden.

Zudem verwies Ip auf die Bedeutung des Chipherstellers Intel als alternative Bezugsquelle für Halbleiter, sollte Taiwan in einem Krieg mit China zum Kampffeld werden. Daher „würden unsere Staatsführer die Probleme dieser Unternehmen vielleicht gern ignorieren, können es aber nicht. Im Interesse der nationalen Sicherheit müssen die USA ein gewisses Know-how für die Herstellung von Flugzeugen und Halbleitern behalten.“

Die herrschende Klasse kann ihre Kriegspolitik nicht umsetzen, ohne die gesamte Gesellschaft dafür zu mobilisieren und sie dieser Politik unterzuordnen. Dazu muss vor allem der Widerstand der Arbeiter gebrochen werden, der sich seit vier Jahren in einer wachsenden Zahl von Streiks ausdrückt.

Die Bürokraten der International Association of Machinists und anderer Gewerkschaften verkaufen nicht nur Streiks aus, sondern stehen auch politisch im Dienst der Regierung. Jeder größere Verrat an Arbeitskämpfen in der letzten Zeit, vom Streikverbot gegen die Eisenbahner bis zu den angekündigten Massenentlassungen bei UPS, in der Autoindustrie und anderswo, wurde eng mit dem Weißen Haus abgestimmt, um die US-Lieferketten und die Industrie für den Konflikt mit den ausländischen Rivalen der Wall Street zu sichern.

Dies ist der wahre Inhalt von Bidens Beschäftigungspolitik, wie im Juli deutlich wurde, als er die Gewerkschaften als seine „Nato im Inland“ bezeichnete.

Der Präsident der United Auto Workers, Shawn Fain, macht aus der Einstellung der Gewerkschaftsbürokratie keinen Hehl. Er bezeichnete die Produktion von Bombern während des Zweiten Weltkriegs und die damalige Kriegswirtschaft als Vorbild für die Arbeiter von heute. Fain und der UAW-Apparat isolieren derzeit einen Streik beim Boeing-Zulieferer Eaton. Zuvor haben sie die Entlassung von mehr als 2.300 Beschäftigten bei Stellantis gebilligt.

Eine weitere wesentliche Funktion des Kriegs besteht darin, eine künstliche „nationale Einheit“ zu erzwingen, indem die sozialen Spannungen auf einen äußeren „Feind“ gelenkt werden. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Reaktion der herrschenden Klasse auf die wachsende Streikwelle in den USA und weltweit, die vom Unmut über die massive Ungleichheit und den sinkenden Lebensstandard angetrieben wird.

Die Bedingungen, die den Kapitalismus zum Krieg treiben, bringen allerdings auch den Anstoß zu einer sozialen Revolution hervor. Die heutigen Kriege sind von Anfang an zutiefst unpopulär, und ihre Verbindung mit massiven Angriffen auf die Arbeiterklasse führt den Arbeitern vor Augen, dass die Billionen, die für den Krieg ausgegeben werden, letztlich auf ihre Kosten gehen.

Auch bei den Konkurrenten von Boeing kämpfen die Belegschaften gegen starke Einschnitte. Alle Teile des nationalen Kapitals wetteifern darum, wer die meisten Profite aus den Arbeitern pressen kann. Die Beschäftigten des brasilianischen Flugzeugherstellers Embraer haben ebenfalls gegen schlechte Tarifeinigungen gestimmt. Bei Airbus kämpfen die Beschäftigten gegen Massenentlassungen, und beim Luft- und Raumfahrunternehmen Eaton streiken sie von Großbritannien bis Michigan.

Die Arbeiterklasse wird durch ihre wachsende soziale Empörung in einen Konflikt mit der Gewerkschaftsbürokratie getrieben. Immer mehr Urabstimmungen enden mit der Ablehnung der Verhandlungsergebnisse, und es kommt zunehmend zu Rebellionen. Ihren bewusstesten Ausdruck findet diese Entwicklung im Wachstum der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC).

Die etablierten politischen Parteien haben den Arbeitern nichts zu bieten als Diktatur und Krieg in verschiedenen Formen. Trumps Tiraden gegen den „inneren Feind“ bringen zum Ausdruck, dass die gesamte herrschende Klasse die Arbeiter im eigenen Land als größte Gefahr ansieht, mehr noch als China oder Russland.

Wie das Aktionskomitee der Boeing-Beschäftigten am Montag erklärte, „hat unser Streik auch offenbart, dass die Gesellschaft in zwei große Lager gespalten ist: die Arbeiter, die den Wohlstand schaffen, und die Kapitalisten, die davon leben, uns auszubeuten. Bei unserem Kampf geht es darum, wer den Reichtum der Gesellschaft kontrolliert: wir oder sie.“

Die Arbeiter brauchen eine neue Strategie, die darauf beruht, ihre enorme Macht unabhängig von den kapitalistischen Kriegsparteien und deren gewerkschaftlichen Lakaien zu mobilisieren. Sie müssen die verlogene „nationale Einheit“ des imperialistischen Kriegs zurückweisen und sich weltweit auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Interessen zusammenschließen. Die Arbeiterklasse, die kein Interesse an imperialistischer Ausbeutung hat, kann ihre Interessen nur durch einen kompromisslosen Kampf gegen Krieg verteidigen.

Der Kampf gegen Krieg wiederum erfordert einen Kampf gegen seine Ursache, das kapitalistische Profitsystem. Aus der Auseinandersetzung bei Boeing ergibt sich unmittelbar die Notwendigkeit der Arbeiterkontrolle über die Produktion, einschließlich der Verstaatlichung von Boeing selbst. Denn der Grund für die ständigen schweren Pannen und die zunehmenden Angriffe auf die Arbeiter bei Boeing ist die Unterordnung der Produktion unter das Profitstreben.

Die Arbeiterkontrolle muss verbunden werden mit dem Kampf für die Arbeitermacht und die Reorganisation der Gesellschaft im Sinne der sozialen Bedürfnisse und nicht des privaten Profits. Die Grundlage dafür ist eine globale Planung anstelle imperialistischer Kriege. Das ist das Programm des Sozialismus.

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