Am Mittwoch, den 1. Oktober, hat erneut ein Generalstreik ganz Griechenland zum Stillstand gebracht. In 73 Städten fanden Proteste statt. Die Arbeiter und Angestellten protestierten mit dem 24-stündigen Ausstand gegen das neue Arbeitsgesetz der rechten Regierung unter der Nea Dimokratia (ND), das längere Arbeitszeiten von bis zu 13 Stunden am Tag und weitere Angriffe auf die Arbeitsbedingungen vorsieht.
Am Streik beteiligten sich unter anderem Ärzte und Krankenhausmitarbeiter, Lehrer, Taxifahrer, Nahverkehrs- und Bahnarbeiter sowie Seeleute und Hafenarbeiter. Nicht nur die Züge, sondern auch die Fähren standen still, sodass die Inseln zeitweise vom Festland abgeschnitten waren.
Die Demonstranten solidarisierten sich auch mit Panos Routsis, der sich seit dem 15. September im Hungerstreik befindet. Sein Sohn ist bei der Eisenbahnkatastrophe von Tempi Anfang 2023 gestorben, deren genauen Umstände bis heute von staatlicher Seite vertuscht werden. Jetzt fordert er die Exhumierung von dessen sterblichen Überresten und eine gerichtsmedizinische Untersuchung, um die tatsächliche Todesursache zu klären. Das Tempi-Unglück mit 57 Opfern hatte die größten Massenproteste in Griechenland seit der Finanzkrise ab 2009 ausgelöst.
Der Generalstreik ist Teil einer Streik- und Protestwelle in ganz Europa. In Italien protestierten am Freitag mehr als zwei Millionen und vor einer Woche Hunderttausende gegen den Genozid in Gaza und die israelischen Angriffe auf die Gaza-Hilfsflotte. Auch die Arbeiter am griechischen Hafen von Piräus traten am Freitag aus Solidarität mit der Gaza-Flotte in einen 24-stündigen-Streik. In Frankreich haben die Arbeiter gegen die Sparpläne der Regierung demonstriert. In Deutschland fand die bislang größte Demonstration gegen den Völkermord in Gaza statt.
In Griechenland ist es bereits der vierte Generalstreik in diesem Jahr. Im Februar brachen Massenproteste anlässlich des zweiten Jahrestags des Tempi-Zugunglücks aus, im April folgte ein Generalstreik für höhere Löhne und Ende August streikten die öffentlich Beschäftigten gegen eine Verschärfung des Disziplinarrechts und das neue Arbeitsgesetz.
Zu diesem letzten Streik hatte nur der Dachverband der Gewerkschaften im öffentlichen Sektor ADEDY aufgerufen. An diesem Mittwoch schloss sich auch der Gewerkschaftsverband der Privatwirtschaft GSEE an, der eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 37,5 Stunden fordert.
Das neue Arbeitsgesetz ist darauf ausgerichtet, die kapitalistische Ausbeutung weiter zu verschärfen und rechtlich zu zementieren. Wie die WSWS aufgezeigt hat, müssen die meisten Griechen schon jetzt zwei Jobs oder mehr annehmen, um über die Runden zu kommen. Die offizielle Abschaffung des Achtstundentags legalisiert die katastrophalen Arbeitsverhältnisse, die bereits bestehen und zu chronischer Überlastung und mangelnder Sicherheit am Arbeitsplatz führen.
Der 13-Stunden-Tag in Griechenland könnte zum Dammbruch für ähnliche Arbeitsgesetze in ganz Europa werden. In Deutschland fordert Bundeskanzler Friedrich Merz bereits eine Erhöhung der Arbeitszeit und legt die Axt an den Sozialstaat. Griechenland, wo die Europäische Union in den vergangenen Jahren eine soziale Verwüstung angerichtet hat, soll als Testfeld für die anderen Länder dienen.
Doch während der Widerstand in der Arbeiterklasse gegen diese Sozialangriffe zunimmt, versuchen die Gewerkschaften ihn einzudämmen, zu kontrollieren und zu beschränken.
Der Gewerkschaftsverband GSEE warnt zwar in seinem Streikaufruf: „In Griechenland arbeitet der durchschnittliche Arbeitnehmer 700 Stunden mehr pro Jahr als sein europäischer Kollege. Der 13-Stunden-Tag der Regierung macht das Familien- und Sozialleben, das Recht auf Erholung und Freizeit zunichte.“
Was er aber verschweigt: Der GSEE ist selbst mitverantwortlich dafür, dass die griechischen Arbeiter bereits jetzt so viele Überstunden machen. Seit Jahrzehnten haben die Gewerkschaftsverbände verhindert, dass ein wirksamer Widerstand gegen die Sparpolitik entstehen konnte, der europaweit und über alle Branchen hinweg organisiert werden müsste. Stattdessen haben sie einzelne nationale „Generalstreiks“ ausgerufen, die nichts als Nadelstiche waren. Statt den Sparkurs der Regierung zu stoppen, hat diese Taktik der Gewerkschaften ihn vielmehr begleitet und abgesichert, indem sie die Wut der Arbeiter, Rentner und Studierenden kontrolliert und abgefangen hat.
An der Spitze der Gewerkschaftsverbände stehen langjährige Funktionäre der etablierten Parteien, die über Jahre hinweg die Sparmaßnahmen durchgesetzt haben: Apostolos Mousios, Leiter der ADEDY im öffentlichen Sektor, gehört der ND-nahen Gewerkschaftsfraktion DAKE an, Giannis Panagopoulos, der Vorsitzende des GSEE, ist Mitglied in der sozialdemokratischen Fraktion PASKE.
Auf der zentralen Kundgebung in Athen gaben neben den Gewerkschaftern auch die Vorsitzenden der Oppositionsparteien eigene Pressestatements ab. Nikos Androulakis von der sozialdemokratischen Pasok warnte, dass das neue Arbeitsgesetz die Lage der Bevölkerung angesichts der Teuerung und der steigenden Mieten weiter verschärfe. Sokratis Famellos, Chef der pseudolinken Syriza, erklärte, die Arbeitnehmer hätten „keine Zukunft“ mit einem 13-Stunden-Tag, zunehmenden Arbeitsunfällen und niedrigen Einkommen.
Kein Wort dieser Politiker darf für bare Münze genommen werden. Beide Parteien – Pasok wie Syriza – haben während ihrer Amtszeit in den Vorgängerregierungen die Spardiktate der EU und des Internationalen Währungsfonds umgesetzt und damit der rechten ND-Regierung den Boden bereitet haben. Sie posieren heute als Kritiker und Opposition, morgen schon würden sie exakt dieselben Sozialangriffe durchführen wie der ND-Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis, weil sie denselben Interessen des griechischen und internationalen Kapitals dienen.
Das Verbot des Fluglotsenstreiks
Wie schon im Auguststreik verbot auch diesmal ein griechisches Gericht den Streik der Fluglotsen und anderer Beschäftigter in der Luftfahrt, um die Profitinteressen der Airlines zu schützen. Das Verbot betraf die Gewerkschaftsverbände der Fluglotsen (EEEKE), des Zivilluftfahrtdiensts (OSYPA) und der Luftfahrtmeteorologen (ENIMAEK).
Schon in den Vorjahren hat die Regierung mehrfach Streiks der Fluglotsen per Gerichtsentscheid verhindert. Dabei ist die Verlängerung der Arbeitszeiten gerade für das Flughafenpersonal verheerend, das schon jetzt unter enormen Zeitdruck und hoher Belastung arbeitet. Die Fluglotsen, die den Flugverkehr am Flughafen und im Luftraum koordinieren und überwachen, spielen eine zentrale Rolle für die Flugsicherheit. Wenn sie wegen Arbeitshetze Fehler machen, sind gefährliche Flugunfälle vorprogrammiert. Die Gesetzesverschärfung setzt in diesem Bereich unmittelbar Menschenleben aufs Spiel.
Die Fluglotsen in Griechenland überwachen mit weniger Personal, veralteter Technik und niedrigeren Löhnen mehr Flüge pro Jahr als in Deutschland. Laut Vorschrift sind es zwischen 22 und 28 Flügen pro Stunde, doch in der Sommersaison bis zu 39 Flüge. Seit 2022 leisten sie dauerhaft Überstunden, was die Airlines in ihrer Planung längst eingepreist haben. Zuletzt ist es am Athener Flughafen deshalb zu deutlichen Flugverspätungen gekommen, weil die Fluglotsen „nur“ die vorgeschriebene Zahl der Flüge überwachten.
Vor dem Streikverbot hatte der Verkehrsminister Christos Dimas (ND) die Fluglotsen öffentlich angegriffen und die Mär verbreitet, sie würden zu hohe Gehälter beziehen. Das Ministerium plant eine Umstrukturierung der Luftfahrtbehörde, die die Rechte der Beschäftigten noch weiter einschränken wird.
Doch auf die Angriffe des Verkehrsministers reagierte die Fluglotsengewerkschaft EEEKE mit jämmerlichen Pressemitteilungen. Man sei „enttäuscht“ und habe sich seit Anfang September vergeblich um ein Treffen mit dem Minister bemüht, der sie aber nur an seine Mitarbeiter und die Leitung der Zivilluftfahrtbehörde verwiesen habe. Die Gewerkschaft klagt: „Leider schien es, als hätten die Leitung der Hellenischen Zivilluftfahrtbehörde und des Ministeriums bereits im Voraus beschlossen, unsere Vorschläge, die sich insgesamt auf die Umsetzung der europäischen Vorschriften beziehen, nicht anzuhören.“
Statt der Regierung den Kampf anzusagen, verteidigt sie sich gegen die Vorwürfe der hohen Gehälter und betont, dass sie deutlich produktiver zu niedrigeren Lohnkosten arbeiten als Fluglotsen in anderen Ländern.
Man sollte meinen, dass eine Organisation, die sich als „Arbeitnehmervertretung“ präsentiert, gegen die wiederholten Streikverbote der letzten Jahre und die dauerhafte Unterbesetzung Sturm läuft und breite Unterstützung aus allen Branchen und von Fluglotsengewerkschaften weltweit mobilisiert, um Proteste und Solidaritätsaktionen zu organisieren.
Doch nichts dergleichen. In ihrer Pressemitteilung nach dem Streikverbot klagt die EEEKE über die fehlende Einsicht des Verkehrsministeriums und wirft sich vor der ND-Regierung in den Staub. „Wir fragen uns, ob in diesem demokratischen Staatswesen das verfassungsmäßig garantierte Streikrecht für unseren Berufsstand tatsächlich gilt oder ob die Regierung der Ansicht ist, dass wir nicht streiken dürfen“, schreibt sie.
Die mehrfachen Streikverbote beantworten diese „Frage“ hinreichend – doch die EEEKE legt die Hände in den Schoß und versichert: „Wir möchten in alle Richtungen darauf hinweisen, dass die Fluglotsen ihre Arbeit tun, und zwar mehr als das, und dass das System aufgrund unserer Überstunden seit 2022 bis heute funktioniert. Ohne diese Überstunden wären die Verspätungen in den letzten drei Jahren um ein Vielfaches höher gewesen als heute. Wir werden unsere Arbeit weiterhin so gut wie möglich machen, wobei die Flugsicherheit nicht verhandelbar ist. Um das Problem zu lösen und noch größere Verspätungen ab 2026 zu vermeiden, müssen das Ministerium und die Zivilluftfahrtbehörde ihre Arbeit tun.“
Sie respektiere die Gerichtsentscheidung und ziehe den Streikaufruf zurück, werde aber weiterhin „die Öffentlichkeit informieren“ und angeblich für die Modernisierung der Systeme, mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen und die Erfüllung europäischer Vorschriften der Luftfahrt eintreten.
Hoffen und Beten, dass die Regierungsbehörden „ihre Arbeit tun“ – mit solchen Bittbriefen schürt die Gewerkschaft die Illusion, es sei im Interesse der Regierung die Lage der Fluglotsen zu verbessern. Doch die Regierung „tut ihre Arbeit“, indem sie den Interessen der herrschenden Klasse und der Fluggesellschaften dient und das bedeutet, größtmögliche Profite zu den niedrigsten Lohnkosten zu erzielen. Die EEEKE vertuscht die Klassenbeziehungen, die sich in dem Konflikt offenbaren. Sie will ihre Mitglieder mit der ewigen Litanei einschläfern, man könne durch Appelle an den Minister und den Staat Zugeständnisse erlangen.
Dass die Fluglotsen schon seit 2022 dauerhaft Überstunden leisten und damit den Betrieb am Laufen halten, haben sie ihrer Gewerkschaft zu verdanken, die keinen echten Kampf führen will.
Die Fluglotsen – wie die anderen Arbeiter und Angestellten in Griechenland – müssen neue Kampforgane aufbauen: Aktionskomitees, die unabhängig von den prokapitalistischen Parteien und Gewerkschaften sind und sich in der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) mit Kolleginnen und Kollegen in Europa und weltweit vernetzen.
Und sie brauchen ihre eigene Partei, eine griechische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die den Kampf gegen die Angriffe auf ihre sozialen und demokratischen Rechte auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive entwickelt.