Frankreich: Arbeiter und Jugendliche protestieren gegen Regierung und Haushaltskrise

Am 18. September haben sich rund eine Million Menschen an einem landesweiten Proteststreik gegen die Haushaltskrise beteiligt. Sie protestierten auch gegen den neuen Premierminister Sébastien Lecornu und seine Minderheitsregierung.

In über 260 französischen Städten fanden Demonstrationen statt, und gemeinsam mit den Studierenden streikten Beschäftigte des Nahverkehrs, der staatlichen Schulen und von Energieversorgern im ganzen Land. In Paris waren Schätzungen zufolge rund 55.000 Menschen auf der Straße, und weitere Zehntausende marschierten in Toulouse, Marseille, Bordeaux, Lyon und Lille.

Der Widerstand gegen Präsident Emmanuel Macrons Finanzierung von Kriegen und seine Erhöhung der Militärausgaben durch immer mehr Sozialkürzungen wächst weiter. Gleichzeitig wächst auf der Linken auch die Unzufriedenheit mit der Neuen Volksfront (NFP) von Jean-Luc Mélenchon, die zusammen mit den Gewerkschaftsbürokratien im Jahr 2023 die Massenstreiks gegen Rentenkürzungen verraten hatten. Damals hatte eine große Mehrheit der französischen Bevölkerung die Rentenkürzungen abgelehnt, doch ihr Protest wurde ausverkauft. Immer mehr Arbeitende sehen heute die Verantwortung dafür bei der NFP und den Gewerkschaftsführungen, die es Macron ermöglicht haben, gegen die Bevölkerung zu regieren.

In Paris nahm ein WSWS-Reporterteam an der zentralen Demonstration teil, sprach mit Arbeitenden und Jugendlichen und verteilte die Erklärung der Parti de l’égalité socialiste (PES), der Schwesternpartei der SGP, mit dem Titel „Baut Aktionskomitees auf, um den Kampf gegen Macron und den Krieg zu führen!“

Demonstration von rund 55.000 Menschen gegen die Regierung des designierten Premierministers Sébastien Lecornu, Paris, 18. September 2025

Lucca, ein französisch-brasilianischer Student, sagte der WSWS: „Macron und die gesamte französische Regierung kürzen die Budgets für Bildung und Forschung, sie kürzen das Mensa-Essen, das den Schwächsten hilft, denn sie wollen in Zeiten des Krieges und internationaler geopolitischer Spannungen die Militärbudgets erhöhen. Dabei ist es sinnlos, einfach nur Waffen anzuhäufen und die Spannungen zu verschärfen. Sie beuten die Schwachen aus, um den Krieg zu verschärfen. Wenn wir eine Lösung wollen, müssen wir die Steuern für die reichsten Personen erhöhen.“

Lucca sagte, er sei unzufrieden mit den rechten Parteien in der Regierung, aber auch alles andere als begeistert von der NFP unter Führung von Jean-Luc Mélenchon und seiner Partei La France Insoumise (LFI). Mit Blick auf nicht weniger als vier Regierungswechsel in den letzten zwei Jahren sagte Lucca: „Die Instabilität der Regierung ist ein Zeichen dafür, dass die Franzosen unzufrieden sind (...) Aber ich bin auch kein großer Fan von Mélenchon. Ich glaube nicht, dass er wirklich meine Ideale vertritt. Gleichwohl könnte er vielleicht eine Lösung sein, denn er ist das, was wir derzeit haben. Dennoch bin ich kein großer Anhänger von Mélenchon.

Lucca

Lucca stimmte zu, dass die Bewegung in der Arbeiterklasse international ist, und er sagte: „In Brasilien sind es die gleichen Menschen wie hier, Studierende, Arbeitende, die am stärksten benachteiligten Menschen, die unzufrieden sind und allgemeine Veränderungen wollen. Dort hat man kürzlich einen großen Schritt vorwärts gemacht. Bolsonaro, der ehemalige Präsident, hat 2022 versucht, einen Staatsstreich zu organisieren. Gerade wurde er zu 27 Jahren Haft verurteilt. Das ist eine große Veränderung, aber es reicht nicht aus. Alles muss sich ändern.“

Auf den Vorschlag der WSWS, die Arbeiterklasse unabhängig zu organisieren, um einen Generalstreik zur Absetzung Macrons vorzubereiten, stimmte Lucca zu und verwies auf Massenproteste in Asien: „Das müssen wir hier auch machen. Alle müssen auf die Straße gehen und protestieren, denn heute sind alle betroffen. (...) Man muss alle mobilisieren; machen wir es wie in Nepal.“

Helene Monteiro

Helena Monteiro, eine CGT-Vertrauensfrau im Reinigungsdienst, betonte den immer stärkeren wirtschaftlichen Druck auf Arbeiterfamilien und die soziale Ungleichheit: „Das Leben ist teurer geworden, wir brauchen Gehaltserhöhungen und für die Alten Rentenerhöhungen. Es gibt diejenigen, die nicht arbeiten, und uns, die wir arbeiten. Es muss Gleichheit geben. Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.“

Auf die Frage der WSWS, was sie von der neuen Regierung halte, antwortete sie: „Oh nein, wir müssen sie loswerden. Wir brauchen einen neuen Präsidenten. Die Dinge müssen besser werden, denn so wie es jetzt ist, ist es wirklich unmöglich. Alles wird teurer, nur unsere Löhne nicht. Es reicht uns nicht bis zum Monatsende.“

Die WSWS sprach auch mit zwei Lehrerinnen, Laura und Claire, die an einer Mittelschule in einem Einwandererviertel von Paris arbeiten. Sie kritisierten die jüngste Bildungsreform. „Schüler, die Schwierigkeiten haben, werden geopfert, die gute Stimmung im Klassenzimmer wird geopfert“, sagte Claire, und Laura sagte: „Auch die Räume, in denen die Lehrer ihre Pausen verbringen, werden immer mehr entpolitisiert, es gibt keine starken kollektiven Debatten mehr.“

Als die WSWS-Reporter nach der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie bei der Demobilisierung des Massenwiderstands fragten und speziell den Verrat am Kampf um die Renten 2023 erwähnten, antwortete Laura: „Man hat schon das Gefühl, dass die Gewerkschaften auch darin verwickelt sind. Wir haben all das gemacht, haben alle zusammen gestreikt, aber sie sagten einfach: ‚Na ja, schade.‘ Da gibt es ein echtes Problem.“

Laura und Claire, zwei Lehrerinnen mit Plakat: „Macron, wir haben es satt“

Laura und Claire betonten ihre Sorge über die steigenden Militärausgaben. „Wir haben einen Staat, der zunehmend militaristisch wird. Wir sehen, wohin die Gelder fließen, wir lassen uns nicht täuschen“, sagte Claire, während Laura hinzufügte: „Die Prioritäten bei der Mittelvergabe sind völlig absurd, das Bildungssystem bekommt nur Peanuts und dann lächerliche PR-Gags. Jeder Minister ist noch inkompetenter als sein Vorgänger. Die Menschen haben es wirklich gründlich satt. Zum Glück haben wir unsere Schüler, denn die Institution selbst hat wirklich schlimme Auswirkungen.“

Laura schloss: „Die Politik, wie wir sie kennen, ist überholt. Ich denke, wir müssen uns mit der Jugend zusammentun und gemeinsam wehren.“

Blick in die Pariser Demonstration vom 18. September 2025. Auf dem Schild steht: „Geld für Schulen, nicht für Krieg“

Louis, ein Geschichtsstudent, sagte gegenüber der WSWS, er nehme an der Demonstration in Paris teil, um „gegen die Sparpolitik zu kämpfen, gegen eine Minderheitsregierung, die uns Dinge aufzwingt und mit den französischen Oligarchen unter einer Decke steckt“. Frankreich werde von „einer Art bourgeoiser Aristokratie kontrolliert, von Personen, die überall präsent sind, mit allen Politikern, egal ob links oder rechts“, sagte er. Er betonte, dass die Menschen, die die französische Politik bestimmen, den Bezug zur sozialen Realität völlig verloren hätten.

„Das sind Leute, die glauben, der durchschnittliche Franzose verdiene 5000 Euro im Monat“, sagte er; aber das durchschnittliche Gehalt liegt in Frankreich bei 1940 Euro. „Ich bin Student, arbeite in einem Nachtclub und bekomme für meine Nachtschichten nur einen Mindestlohn. Ich schufte mich mit einem miesen Job zu Tode.“

Louis

Louis betonte die Auswirkungen der Sparpolitik auf die Studierenden: „Man hat das Budget unserer Universität um 3 Millionen Euro gekürzt, Masterstudiengänge geschlossen und Professoren, die in den Ruhestand gehen, nicht ersetzt. (...) Was die Sozialhilfe für Studierende, Cafeterias und Wohnbeihilfen angeht, so werden sie jedes Jahr gekürzt und der Zugang zu diesen Hilfen wird erschwert.“

Louis berichtete, dass er auf dem Land lebt, wo viele die neofaschistische Partei Rassemblement National (RN) gewählt haben. Er wies auf die Rolle der Regierung Macron beim Aufstieg der RN hin: „Die Regierung wiederholt ständig, dass Einwanderung viel kostet, aber das ist eine staatliche Lüge. Wenn man sich auch nur ein wenig mit der Sache beschäftigt, wird klar, dass die Migration nur einen Tropfen auf den heißen Stein der Staatsausgaben ausmacht. (...) Das sieht man überall, auch in Amerika. Dort gibt es Proteste, ähnlich wie hier, zum Beispiel gegen die ICE, also gegen die Verteufelung der Migranten, die als Sündenböcke benutzt werden, genau wie hier in Frankreich.“

Teilnehmer der Pariser Demonstration vom 18. September mit Schild: „Macron und Retailleau [ehemals französischer Innenminister] ‚faschisieren‘ die Demokratie“

Louis erklärte, wie die zynische nationalistische Demagogie des RN die Klassenfragen verschleiert: „Der RN schürt Einwanderungsfeindlichkeit, um den Konzernchefs und dem französischen Kapital Geschenke zu machen, aber er erhöht nicht den Mindestlohn, um seinen Wählern zu helfen. Zu den Wählern des RN gehören Manager, aber auch viele Landwirte oder Arbeiter, die falsch informiert werden von dieser Bande von Medien, sei es CNews oder heute sogar öffentlich-rechtlicher Rundfunk.“

Gleichzeitig betonte Louis, dass auch die LFI und ihr NFP–Bündnis mit der bürgerlichen Sozialistischen Partei (PS) und den Stalinisten und den Grünen für den Aufstieg des RN verantwortlich seien: „Wenn man sich die LFI ansieht, besteht ihre politische Strategie darin, sich auf die Jugend in den Außenvierteln zu konzentrieren und, wie du sagst, die Arbeiter im Norden zu vergessen. (...) Die RN greift Teile der Wählerschaft auf, die die Linke aufgegeben hat, und sagt ihnen, dass die Einwanderung das Problem sei. Aber das eigentliche Problem ist die Sparpolitik, die unsere Regierung zum Vorteil der Reichen in unserem Land durchsetzt.“

Als WSWS-Reporter betonten, dass es eine internationale revolutionäre Bewegung in der Arbeiterklasse braucht, die auf Aktionskomitees außerhalb der offiziellen Politikstrukturen basiert, wies Louis auf die komplexen Fragen hin, die dies in der Geschichte der kommunistischen Bewegung aufgeworfen hat. Er sagte: „Eine Arbeiterinternationale ist für mich der einzige Weg, den Kapitalismus zu stürzen. Das würde bedeuten, dass man ein echtes internationales Arbeiterbewusstsein hat, wie es die Kommunisten früher erhofft hatten. Aber das haben wir verloren, und ich glaube, dass es in den letzten 30 Jahren sehr schwierig war, das wieder zu erreichen.“

Teilnehmer der Pariser Demonstration vom 18. September mit Schild zur französischen Haushaltskrise: „Wo sind unsere Milliarden geblieben?“

Gleichzeitig betonte Louis seine Enttäuschung über die etablierten Organisationen, die die Medien in der Öffentlichkeit als links verkaufen: „Es stimmt, dass es Gewerkschaftsmitglieder gibt, die bestimmte Interessen verfolgen, die so tun, als wären sie uns nahe, und dann umschwenken. Wenn man sich beispielsweise die Sozialistische Partei ansieht, das sind Leute, die sich immer als links bezeichnet haben, aber stets eine rechte Politik verfolgt haben. Bei der ersten Gelegenheit haben sie sich zusammengetan, um diese Sparpolitik umzusetzen.“

Angesichts solcher politischer Hindernisse und in einer Situation, in der die Kriege eskalieren, die Arbeiterklasse angegriffen wird und weltweit die Gefahr einer Diktatur besteht, ist es klar, dass Arbeitende und Jugendliche keine einfachen Lösungen finden können. Deshalb hat die PES in ihrem Statement erklärt:

Tatsächlich erfordert die Verteidigung fundamentaler sozialer und demokratischer Rechte der Arbeiterklasse eine massenhafte Mobilisierung der Arbeiter im Kampf für die Selbstorganisation der Arbeiterklasse und die Vorbereitung eines Generalstreiks zum Sturz Macrons. Das ist untrennbar verbunden mit dem Aufbau einer politischen Bewegung in der Arbeiterklasse in Frankreich und ganz Europa für Arbeitermacht und eine sozialistische Revolution.

Die Parti de l’égalité socialiste (PES) ruft dazu auf, den Gewerkschaftsapparaten in allen Fabriken und Betrieben die Macht zu entreißen und sie an die Arbeiter selbst zu übertragen. Um diesen Kampf zu führen, müssen die Arbeiter ihre eigenen Organisationen aufbauen, um den Widerstand der Gewerkschaftsbürokratien zu überwinden. Deren „Sozialdialog“ bindet die Arbeiter an die Diktate des kapitalistischen Staates.

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