Wir veröffentlichen hier den Bericht von Tom Carter an den achten Parteitag der Socialist Equality Party (US). Der Parteitag fand vom 4. bis 9. August 2024 statt und verabschiedete einstimmig zwei Resolutionen, „Die Präsidentschaftswahlen von 2024 und die Aufgaben der Socialist Equality Party“ und „Freiheit für Bogdan Syrotjuk!“
Weitere Berichte auf dem Parteitag sind unter diesem Artikel verlinkt.
Mein Beitrag bezieht sich auf den Abschnitt der Resolution, der mit „Trump, Faschismus und die Krise der amerikanischen Demokratie“ überschrieben ist. Ich werde mich insbesondere mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs in der Sache Trump vs. Vereinigte Staaten befassen. Mit diesem Urteil befürworteten sechs von neun Richtern des Obersten Gerichtshofs, dass Amerika zu einer vom Präsidenten geführten Diktatur wird.
In unserer Resolution wird die Einschätzung aus einem Artikel von Genossen Tom Mackaman („Der Oberste Gerichtshof und die Konterrevolution vom 1. Juli 2024“) zitiert, dass dieses Urteil nicht vom Himmel gefallen ist, sondern den Höhepunkt eines langen Prozesses des Verfalls und der Aushöhlung demokratischer Normen in den USA darstellt. Es ist die innenpolitische Manifestation eines jahrzehntelangen Prozesses, der sich außenpolitisch in der eskalierenden Gewalt und Kriegstreiberei des US-Militarismus ausdrückt. Dieser nach außen gerichtete Prozess, den Genosse Andre Damon zusammengefasst hat, ist in den am hellichten Tage verübten Völkermord in Gaza und in das unaufhörliche brudermörderische Gemetzel in der Ukraine gemündet. Mittlerweile werden die Flammen des Krieges in Richtung Libanon, Iran und China angefacht. Im Inneren gipfelte dieser Prozess in der Erklärung des Obersten Gerichtshofs, dass der Präsident ein Diktator sei, der über dem Gesetz stehe und ungestraft Verbrechen begehen könne. Dies sind zwei Seiten derselben Medaille.
In meinen Ausführungen werde ich dort anknüpfen, wo Genosse Tom Mackaman geendet hat. Als Erstes werde ich das Urteil selbst untersuchen. Zweitens werde ich einige der wichtigsten Präzedenzfälle und Vorläufer in der Zeit nach der Auflösung der UdSSR nennen. Drittens werde ich den Stand der politischen Unterdrückung in den USA beleuchten, insbesondere im Hinblick auf die Proteste gegen den Völkermord im Gazastreifen. Viertens möchte ich einige Bemerkungen zum Charakter des Obersten Gerichtshofs machen. Und fünftens greife ich die Einschätzung des Historikers Sean Wilentz auf, dass das Urteil im Verfahren Trump vs. Vereinigte Staaten das „Dred-Scott-Urteil unserer Zeit“ ist
Der Fall Trump vs. Vereinigte Staaten: „Kühnes und unerschrockenes Handeln“
Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof hat einen Titel, der von Charles Dickens stammen könnte: Trump vs. Vereinigte Staaten, wobei Trump als Sieger hervorging.
Unmittelbarer Anlass des Verfahrens war Trumps Versuch, die US-Verfassung zu stürzen und sich am 6. Januar 2021 als Diktator zu etablieren. Die Jury eines Bundesgerichts hatte festgestellt, dass Trump wegen dieses Putschversuchs in vier Punkten angeklagt werden muss. In der Anklageschrift wird ihm unter anderem vorgeworfen, dass er nach seiner Wahlniederlage eine Verschwörung angezettelt habe, um die Wahl zu kippen. Er habe zu diesem Zweck wissentlich falsche Behauptungen über Wahlbetrug verbreitet, um die Erfassung, Auszählung und Bestätigung der Wahlergebnisse zu behindern.
Trump beantragte die Abweisung der Klage und berief sich dabei auf die so genannte „präsidiale Immunität“. Er machte geltend, dass ein Präsident in Bezug auf seine „Amtshandlungen“ absolute Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung genieße. Das zuständige Bundesbezirksgericht wies Trumps Argumentation zurück, ebenso wie das Berufungsgericht des District of Columbia. Daraufhin rief Trump den Obersten Gerichtshof an.
Der Oberste Gerichtshof entschied am 1. Juli 2024 mit 6 zu 3 Stimmen zu Trumps Gunsten. Er beschied nicht nur, dass Trump in diesem speziellen Fall immun ist, sondern schuf auch gleich einen Rechtsrahmen für die Immunität des Präsidenten, der dauerhaft für das Amt des Präsidenten als Oberbefehlshaber gilt, unabhängig von der Person, die dieses Amt in Zukunft ausübt. Mit dieser Entscheidung wurde der verfassungsrechtliche Rahmen, der in den USA seit der Amerikanischen Revolution und dem Bürgerkrieg bestand, de facto außer Kraft gesetzt. Das ist keine Übertreibung.
Trump argumentierte, und der Oberste Gerichtshof folgte ihm, dass der Präsident Immunität benötige, „um sicherzustellen, dass er die besonders sensiblen Aufgaben seines Amtes durch kühnes und unerschrockenes Handeln wahrnehmen kann“.
Das Wesen einer Präsidialdiktatur besteht darin, dass der Präsident über dem Gesetz steht, dass sein Wort Gesetz ist und dass es ihm freisteht, alle Gesetze zu übergehen, die ihm im Wege stehen. Dies steht im Gegensatz zur bürgerlichen Demokratie, nach deren Theorie der Präsident vor dem Gesetz ein Bürger mit den gleichen Rechten und Pflichten ist wie jeder andere auch. Das Wort „Diktator“ kommt in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht vor, aber das hatte er auch gar nicht nötig – er deutete einfach den Sinn des Wortes „Präsident“ in „Diktator“ um und erreichte das gleiche Ergebnis.
Auf der World Socialist Web Site haben wir dieses Urteil völlig zu Recht verglichen mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933, mit dem Hitler die Befugnis verliehen wurde, einseitig gegen die Weimarer Verfassung zu verstoßen, ohne dass er gegenüber den anderen Organen der Staatsgewalt Rechenschaft ablegen musste. Insbesondere die Formulierung „kühnes und unerschrockenes Handeln“ („bold and unhesitating action“) ist schlicht die Übersetzung des Führerprinzips ins Englische. Demzufolge ist der Führer Ausdruck des demokratischen Volkswillens, der sich hinwegsetzen muss über das, was der Nazi-Jurist Carl Schmitt das „endlose Gerede“ von Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung nannte. Schmitt, der in den Fakultäten amerikanischer juristischer Fakultäten bis heute offene Bewunderer hat, würde die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs als Anwendung seiner Grundsätze auf amerikanische Institutionen ansehen.
Dieses Urteil ist Teil eines globalen Phänomens. Einer der Gesetzentwürfe im Rahmen der rechtsextremen Justizreform, die letztes Jahr in Israel riesige Proteste auslöste, sah ein Verbot von Strafverfahren gegen amtierende Ministerpräsidenten vor. Der damalige und jetzige Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hätte dann nicht mehr wegen Korruption belangt werden können.
Eine weitere Äußerung dieses Phänomens ist die Annullierung der diesjährigen Wahlen in Ukraine. Damit wurde Selenskyj zum Diktator, der die Ukraine nach eigenem Gutdünken und mit Rückendeckung der Nato-Mächte regiert. Selenskyj bediente sich offen der Sprache und Logik des Faschismus. Im November rechtfertigte die Übernahme der diktatorischen Macht mit den Worten: „Wir müssen erkennen, dass jetzt die Zeit für Verteidigung ist, die Zeit des Kampfs, der das Schicksal des Staates und Volkes entscheidet, nicht die Zeit für Manipulationen.“
Im Juni berichteten die französischen Medien, dass Präsident Emmanuel Macron beabsichtige, unter Berufung auf Artikel 16 der Verfassung das Parlament auszusetzen und Notstandsbefugnisse zu übernehmen. Die Olympischen Spiele 2024 wurden in Paris de facto unter einem militärischen Belagerungszustand abgehalten.
Die Form mag sich von Land zu Land unterscheiden, aber die Tendenz ist dieselbe, und die Vereinigten Staaten stehen im Mittelpunkt dieses globalen Prozesses.
Der Oberste Gerichtshof hat in der Rechtssache Trump vs. Vereinigte Staaten nicht erklärt, dass der Präsident unter allen Umständen für alle Zeiten immun ist. Vielmehr behielten sich die Richter das Recht vor, selbst zu entscheiden, wann der Präsident immun ist und wann nicht. So könnte der Oberste Gerichtshof nach diesem neuen Rechtsrahmen beispielsweise einem künftigen republikanischen Präsidenten Immunität gewähren, sie einem demokratischen Präsidenten für dasselbe Verhalten hingegen verweigern. In diesem Sinne handelt es sich um eine historisch beispiellose Machtanmaßung der mit Trump verbündeten Aufrührer.
Wie ich gehört habe, wurde der WSWS vorgeworfen, dass sie die Auswirkungen und Gefahren des Urteils übertreibe. Um diese Kritik zu beantworten, möchte ich zunächst zitieren, was die drei Richter, die dem Urteil nicht zustimmten, in ihren Stellungnahmen vorgebracht haben.
„Das Gericht schafft eine rechtsfreie Zone im Umfeld des Präsidenten und zerstört damit den Status quo, der seit der Gründung [der USA] Bestand hatte“, schreibt Richterin Sonia Sotomayor und weiter:
Wenn der Präsident in irgendeiner Weise seine Amtsbefugnisse ausübt, ist er nach der Argumentation der Mehrheit nun vor Strafverfolgung geschützt. Er befiehlt dem Seal Team 6 der Navy, einen politischen Rivalen zu ermorden? Immun. Er organisiert einen Militärputsch, um sich an der Macht zu halten? Immun. Er lässt sich bestechen, um eine Begnadigung zu gewähren? Immun. Immun, immun, immun.
Weiter schreibt Sotomayor: „Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und dem Volk, dem er dient, hat sich unwiderruflich verschoben. Bei jeder Ausübung seiner Amtsgewalt ist der Präsident nun ein König, der über dem Gesetz steht.“
Richterin Ketanji Brown Jackson deutete in ihrer abweichenden Stellungnahme an, dass der Präsident nun andere Regierungsbeamte ermorden kann, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden oder Konsequenzen fürchten zu müssen. „Der Präsident mag die Befugnis haben, beispielsweise den Attorney General abzusetzen“, schrieb sie, „aber hier geht es um die Frage, ob der Präsident die Möglichkeit hat, den Attorney General abzusetzen, indem er ihn beispielsweise vergiftet.“
Die Richter, die dem Urteil nicht zustimmten, äußern sich natürlich nicht als Marxisten. Sie treibt die Sorge um, dass dieses Urteil der Glaubwürdigkeit und der Legitimität des US-Imperialismus im In- und Ausland schadet. Immerhin führen die USA laut den Sprechern des US-Außenministeriums im Konflikt mit Russland und China einen Kampf für „Freiheit und Demokratie“, gegen „Autoritarismus“. Doch gleichzeitig ist die US-Regierung im eigenen Land dabei, Freiheit und Demokratie abzuschaffen und autoritäre Herrschaftsformen einzuführen. Die Motive der abweichenden Richter ändern aber nichts daran, dass ihre Warnungen sehr schwerwiegend sind.
Lasst mich an einigen konkreten Beispielen erläutern, was das Urteil bedeutet. Im Februar dieses Jahres meinte der republikanische Kongressabgeordnete Mike Collins aus Georgia im Rahmen der Strafverfolgung eines New Yorkers (der später tatsächlich entlastet wurde), dass „wir ihm ein Ticket für einen kostenlosen Hubschrauberflug mit Pinochet Air kaufen könnten“. Wir haben hier also einen amtierenden republikanischen Kongressabgeordneten, der sich ohne Ironie positiv über den chilenischen Diktator Augusto Pinochet und den Massenmord an linken Regimegegnern äußert. Um diese Drohung als Beispiel zu verwenden: Nehmen wir an, ein Präsident würde anordnen, dass linke Regierungskritiker aus Hubschraubern geworfen und ermordet werden. Nach dem heutigen „obersten Gesetz des Landes“ der Vereinigten Staaten würde der Präsident vermutlich Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung genießen, da es sich um eine „Amtshandlung“ handelt.
Ein weiteres Beispiel: Im Mai hat der Republikaner Andy Ogles aus Tennessee ein neues Bundesgesetz vorgeschlagen. Dieser Gesetzentwurf, der offiziell in das US-Repräsentantenhaus eingebracht wurde, würde es ermöglichen, dass Studierende, die gegen den Völkermord protestieren, nach Gaza abgeschoben werden. Der so genannte „Antisemitism Community Service Act“ (H.R. 8321) besagt: „Jede Person, die ab dem 7. Oktober 2023 wegen rechtswidriger Handlungen auf dem Campus einer Hochschuleinrichtung verurteilt wird, wird zur Ableistung von gemeinnütziger Arbeit für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten nach Gaza ausgewiesen.“ Dieses Gesetz ist nicht verabschiedet worden, aber nehmen wir an, es wäre so. Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wäre ein Präsident, der pro-palästinensische Studierende festnehmen und nach Gaza verbringen lässt, immun, solange es sich um eine „Amtshandlung“ handelt.
Trump seinerseits hat direkt zur Deportation aller Sozialisten aufgerufen, sollte er gewählt werden. In einer Rede im vergangenen Jahr erklärte Trump: „Wir werden ausländische, Christen hassende Kommunisten, Marxisten und Sozialisten aus Amerika fernhalten.“ Wäre es illegal, wenn Trump alle Teilnehmer unseres Parteitags abschieben würde? Ja. Würde er straffrei bleiben? Gemäß der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Rechtssache Trump vs. Vereinigte Staaten wäre das der Fall, sofern es sich um eine „Amtshandlung“ handelt.
Präzedenzfälle und Vorläufer: Folter, Ermordung und Militärkommissionen
Bei der Suche nach Präzedenzfällen und Vorläufern für Trump vs. Vereinigte Staaten stellt sich immer die Frage, wo man anfangen und wie weit man zurückgehen soll.
Während des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie während des Vietnamkriegs gab es zweifellos Massenunterdrückung. Auch unsere Bewegung wurde verfolgt. Nach dem Ersten Weltkrieg entsandte die US-Regierung sogar Truppen nach Russland, um die Russische Revolution niederzuschlagen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Führer unserer Partei auf Grundlage des antikommunistischen Smith Acts inhaftiert. Und in der Zeit des Vietnamkriegs versuchte die Regierung, abweichende Meinungen durch massive Unterwanderung durch verdeckte Regierungsagenten und Informanten zu unterdrücken. Aber wenn man jetzt einfach sagen würde, „die Geschichte wiederholt sich“, würde man den historisch beispiellosen Charakter des Urteils und der Situation, mit der wir jetzt konfrontiert sind, unterschätzen.
Die Auflösung der UdSSR in den Jahren 1988-1991 führte dazu, dass die US-Kapitalisten fortan ihre Interessen gegen Konkurrenten im Ausland und gegen die Arbeiterklasse im Inland völlig ungehemmt verfolgten. Es folgte ein Ausbruch des US-Militarismus auf der ganzen Welt und ein Rechtsruck des gesamten politischen Establishments der USA. Im Zuge dieses Prozesses hat die Demokratische Partei die letzten Reste des Reformismus über Bord geworfen und sich stattdessen auf Identitätspolitik verlegt.
Das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton 1998 und die damit verbundene Krise war mit einer Verschwörung der Rechten verbunden, die die Clinton-Regierung durch einen Sexskandal lahmlegen wollten. Die toxische politische Atmosphäre, die sich im Zuge dieser Affäre über die gesamte offizielle Politik der USA legte, hat sich nie aufgelöst.
In einer Erklärung, die am 21. Dezember 1998 unter der Überschrift „Treibt Amerika auf einen Bürgerkrieg zu?“ veröffentlicht wurde, schrieb die WSWS-Redaktion:
Die Krise in Washington ist das Ergebnis eines Zusammenspiels komplexer politischer, sozialer und wirtschaftlicher Prozesse. Die bürgerliche Demokratie bricht unter dem Gewicht der angehäuften und zunehmend unlösbaren Widersprüche zusammen. Die wirtschaftlichen und technologischen Prozesse, die mit der Globalisierung der Weltwirtschaft einhergehen, haben die sozialen Bedingungen und Klassenbeziehungen untergraben, von denen die politische Stabilität Amerikas lange Zeit abhing.
Eine Kriegserklärung muss zwar formal vom Kongress per Abstimmung genehmigt werden, doch in der Praxis führen die USA sowohl unter demokratischen als auch unter republikanischen Regierungen einen Krieg nach dem anderen per Dekret der Exekutive, einschließlich der einseitigen Nato-Bombardierung des ehemaligen Jugoslawiens im Jahr 1999.
Bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 wurde durch das berüchtigte Urteil des Obersten Gerichtshofs in der Sache Bush vs. Gore George W. Bush zum Sieger erklärt. Der Oberste Gerichtshof ordnete den Stopp der Stimmenauszählung in Florida an, und der erzreaktionäre Richter Antonin Scalia verstieg sich im Laufe des Verfahrens sogar zu der Behauptung, dass es kein verfassungsmäßiges Recht auf die Wahl des Präsidenten gebe. Wie die WSWS damals betonte, zeigte die Akzeptanz dieser durch und durch illegitimen Entscheidung durch das gesamte politische Establishment, dass es innerhalb der herrschenden Klasse keine Basis für demokratische Herrschaftsformen mehr gab.
Auf den Diebstahl der Wahlen im Jahr 2000 folgte der so genannte Krieg gegen den Terror im darauffolgenden Jahr. Die Demokratische und die Republikanische Partei erklärten einmütig, dass sich das Land in einem permanenten nationalen Notstand befinde, der die unbefristete Aussetzung demokratischer Rechte rechtfertige. Zu diesen Rechten zählt auch das Recht des Habeas Corpus, wonach jeder Verhaftete binnen Kurzem einem Richter vorgestellt werden muss. Die Flughäfen wurden abgeriegelt, was bis heute nicht aufgehoben wurde. Im Rahmen des angeblichen „Kriegs gegen den Terror“ wurde das Heimatschutzministerium eingerichtet, in dem die verschiedenen Nachrichtendienste in einem monolithischen Apparat zusammengefasst sind. Eine weitere Maßnahme war die Verabschiedung des Patriot Act, der eine massive Überwachung mit Polizeistaatsmethoden auf der ganzen Welt erlaubt.
Im Rahmen des „Kriegs gegen den Terror“ hat die US-Regierung Entführungen (die sie als „außerordentliche Überstellungen“ bezeichnet) und Folter („verstärkte Verhöre“) offen gebilligt. Hunderte von Menschen wurden in Guantanamo Bay und an „dunklen Orten“ in der ganzen Welt verstümmelt und ermordet. Als die USA in Afghanistan und im Irak einmarschierten und diese Länder besetzten, gingen sie mit brutaler Repression gegen die Opposition in der Bevölkerung vor. Festgehalten ist dies in den Fotos aus dem Foltergefängnis Abu Ghraib im Irak im Jahr 2004. Die USA haben auch ein System von manipulierten Militärtribunalen eingerichtet, die bis heute für die Verfolgung von so genannten „ungesetzlichen feindlichen Kämpfern“ zuständig sind. Diesen Gefangenen werden der Anspruch auf Schutz unter dem Kriegsrecht und die Rechte von Angeklagten im Hinblick auf Verfahren und Sachverhaltsklärung vorenthalten.
Im Juli 2002 genehmigte Attorney General John Ashcroft persönlich eine Reihe von Foltertechniken, darunter „plötzliches Packen, Mauern, Gesichtsgriff, Gesichtsohrfeige (Beleidigungsohrfeige), Einsperren in Boxen, Wandstehen, Stresspositionen, Schlafentzug, Einsperren in Windeln und Verwendung von Insekten“. Die berüchtigtste der weit verbreiteten Foltermethoden der CIA wurde im Bericht des Geheimdienstausschusses des Senats von 2014 beschrieben: „Rektale Rehydrierung ohne Nachweis der medizinischen Notwendigkeit“.
Unter dem Motto „nach vorne schauen, nicht zurück“ weigerte sich Obama, die verantwortlichen Kriegsverbrecher strafrechtlich zu verfolgen. Die parteiübergreifende Weigerung, die Folterer vor Gericht zu stellen, hatte weitreichende Folgen für das politische Establishment der USA und diente als grünes Licht für kriminelle Handlungen aller Art. Erst in der vergangenen Woche widerrief die Regierung Biden eine Einigung im Strafverfahren gegen drei Folteropfer und hält damit bis heute an der Legitimität von durch Folter erlangten Geständnissen fest.
Der Spionageapparat wurde unter Obama weiter ausgebaut. Auf einer Powerpoint-Folie der National Security Agency, die der NSA-Whistleblower Edward Snowden enthüllte, hat sich der geheime globale Überwachungsapparat der US-Regierung zum Ziel gesetzt: „Sniff It All, Collect It All, Know It All, Process It All, Exploit It All“ (Alles ausschnüffeln, alles sammeln, alles wissen, alles verarbeiten, alles nutzen).
Die Snowden-Enthüllungen führten nicht zur strafrechtlichen Verfolgung derjenigen, die an der illegalen Ausspähung der Bevölkerung beteiligt waren. Angesichts von Todesdrohungen vonseiten des US-Militärs und Geheimdienstmitarbeitern sowie der Forderung der Obama-Regierung, sich schuldig zu bekennen und sich zu stellen, floh Snowden aus dem Land.
Die massive Ausweitung der inländischen Spionage fiel mit der Integration der Internettechnologie-Monopole in den US-Geheimdienstapparat zusammen und spiegelte sich auch in der zunehmenden Zensur der WSWS wider.
Die Demokratische Partei und die mit ihr verbündeten Richter und Staatsanwälte haben sich den so genannten „Krieg gegen den Terror“ zu eigen gemacht, und als Obama Präsident wurde, haben sie diese Politik per Dekret übernommen. An den so genannten Terror-Dienstagen überprüfte und unterzeichnete Obama Todesurteile für Menschen auf der ganzen Welt, die dann von CIA-Drohnen ermordet wurden, oft zusammen mit ihren Familien. Insgesamt wurden 3.797 Menschen ermordet, nachdem sie auf Obamas Tötungslisten gelandet waren, darunter Hunderte völlig Unschuldiger.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang ein Vorfall während der Obama-Jahre. Außenministerin Hillary Clinton traf sich am 23. November 2010 mit ihren Mitarbeitern, als Wikileaks gerade dabei war, Dokumente zu veröffentlichen, die Kriegsverbrechen und Intrigen der USA auf der ganzen Welt enthüllten. In Bezug auf Julian Assange fragte Clinton: „Können wir den Typ nicht einfach mit einer Drohne abschießen?“ („Can‘t we just drone this guy?“) Berichten zufolge sollen alle Anwesenden gelacht haben, aber dann breitete sich eine peinliche Stille im Raum aus, als klar wurde, dass Hilary Clinton es ernst meinte. Sie begann, konkrete Vorschläge zu prüfen.
Am 30. September 2011 ließ die Obama-Regierung im Jemen den US-Bürger Anwar al-Awlaki ermorden. Auf Antrag der Obama-Regierung wurde eine von al-Awlakis Familie eingereichte Klage von den US-Gerichten abgewiesen, nachdem Obama unüberprüfbare „Kriegsvollmachten“ und andere diktatorische und autoritäre Vorschriften geltend gemacht hatte. Damals schrieben wir auf der WSWS, dass diese Entscheidung „den Weg frei macht für die außergerichtliche Liquidierung von Gegnern der US-Regierung und letztlich für die Diktatur des Präsidenten“. Tatsächlich wurde der Fall al-Awlaki von der Richterin Amy Coney Barrett in der Rechtssache Trump vs. Vereinigte Staaten zustimmend zitiert, wie wir in Punkt 30 der Resolutionen vermerken.
Am 6. Januar 2021 inszenierte Trump nach monatelangen offenen Drohungen einen faschistischen Aufstand in Washington. Ein Mob von Schlägern, die von weißen Rassisten und Neonazi-Organisationen aus dem ganzen Land mobilisiert worden waren, stürmte mit Kabelbindern bewaffnet das Gebäude des US-Kongresses, um Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses, die sich dem Putsch widersetzten, gefangen zu nehmen und zu ermorden. Da sich Teile des Militärs und der Polizei zurückzogen, gelang es den Aufständischen, die offizielle Bestätigung von Bidens Mehrheit im Wahlleutekollegium zu verzögern. Nach dem Scheitern des Staatsstreichs bestand Bidens Hauptanliegen jedoch darin, die Aufständischen nach seinem Amtsantritt zu rehabilitieren. Seine Regierung brauchte deren Unterstützung, um ihre reaktionäre Innen- und Außenpolitik, einschließlich des geplanten Krieges gegen Russland, durchzusetzen.
Im Rückblick auf diese Zeit wählte ich für meinen Bericht den Titel „Die Dämmerung der amerikanischen Demokratie“. Wenn die Amerikanische Revolution und der Bürgerkrieg den Sonnenaufgang und die Mittagszeit darstellten, so brach nach der Liquidierung der UdSSR die Dämmerung herein, deren Schatten sich allmählich verlängerten und alles verschlangen, was von den institutionellen Einrichtungen der früheren Perioden noch übrig geblieben war. So betrachtet ist Trump vs. Vereinigte Staaten kein Wendepunkt, sondern der Höhepunkt dieses lang hingezogenen Untergangs.
Politische Unterdrückung in den USA: Die Gaza-Proteste und die Kriminalisierung von „Störungen“
Teil dieses Abgleitens in eine autoritäre Herrschaft in den USA ist die zunehmende Kriminalisierung abweichender Meinungen, die sich unter den Regierungen sowohl der Demokraten als auch der Republikaner fortsetzte.
Seit der Auflösung der UdSSR gab es in den USA immer wieder Wellen innerer Unruhen, die zusehends heftiger wurden und auf die eine immer stärkere Repression folgte. 1999 gab es in Seattle die WTO-Proteste und die Proteste gegen den Irak-Krieg 2003 (an denen ich als Student teilgenommen habe), die Occupy-Wall-Street-Proteste 2011, die Ferguson-Proteste 2014, die Proteste gegen Trumps Amtseinführung 2017, die Studentenproteste 2018 und dann die massiven Proteste gegen den Mord an George Floyd 2020. Dies waren jeweils wichtige Erfahrungen, die auf immer stärkere Repressionen stießen und vom pseudolinken und gewerkschaftlichen Milieu gedrosselt wurden, das sich bemühte, jede Protestwelle auf die Mühlen der Demokratischen Partei zu lenken.
Im Dezember 1999, nach den Protesten in Seattle, schrieb die WSWS-Redaktion:
Die Proteste und Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei vor den Türen des Treffens der Welthandelsorganisation (WTO – World Trade Organisation) sind ein Vorbote der Dinge, die kommen werden. Diese Ereignisse enthüllen die Explosivität der sozialen Spannungen, die sich im Weltkapitalismus und besonders innerhalb von Amerika entwickeln.
Vor allem bei der Protestwelle im Jahr 2020 zeigte sich ganz deutlich, wie feindselig das politische Establishment der USA den demokratischen Grundrechten der Rede- und Versammlungsfreiheit gegenübersteht. „Man muss herrschen, wenn man nicht herrscht, verschwendet man seine Zeit“, predigte Trump bei einem Telefonat den Gouverneuren im Sommer 2020. „Sie werden euch überrennen. Ihr werdet wie ein Haufen Idioten dastehen.“ Trump selbst flüchtete während der Proteste in Washington in einen Bunker und unternahm dann den beispiellosen Schritt, Tausende Angehörige der Nationalgarde zu entsenden, um die Demonstranten zu vertreiben. „Ich bin euer Präsident für Recht und Ordnung“, rief er in die Kameras.
Die Proteste gegen den Völkermord im Gazastreifen, die letzten Oktober begannen, zeichneten sich sowohl durch ihre Intensität als auch durch die Intensität der Unterdrückung aus.
nem Bericht der New York Times vom 22. Juli 2024 zufolge wurden bislang mehr als 3.100 Personen an Universitäten im ganzen Land festgenommen oder inhaftiert. Als Reaktion auf die Razzia an der Columbia University im Frühjahr dieses Jahres wurden Protestcamps an den Hochschulen von Hunderten schwer bewaffneter Polizeibeamter militärisch angegriffen. Friedlich demonstrierende Studenten wurden mit so genannten „weniger tödlichen“ Geschossen attackiert, mit Schlagstöcken verprügelt, mit Pfefferspray besprüht und mit Kabelbindern gefesselt. Eine Studentin, die ich an der UC Santa Cruz interviewte, beschrieb, wie sich die Studierenden unterhakten und die Polizeibeamten versuchten, die Reihe zu durchbrechen, indem sie den Studentinnen auf die Brüste schlugen. An Universitäten im ganzen Land nahm die Polizei den Studenten die Coronaschutzmasken ab und riss muslimischen Studentinnen die Kopftücher herunter. Als rassistische weiße Bürgerwehren sich mit Zionisten zusammentaten, um Studierende an der University of California, Los Angeles anzugreifen, ließ die Polizei sie gewähren.
Nach einer neuen Richtlinie, die im vergangenen Semester an der University of Michigan eingeführt wurde, verstößt es gegen die Universitätsregeln, wenn man die „normalen Feiern, Aktivitäten und Abläufe der Universität“ stört. „Störung“ wird definiert als „Versperren von Sichtlinien, laute oder verstärkte Geräusche, Projektion von Licht oder Bildern oder anderweitige wesentliche Ablenkungen“. Wie die IYSSE-Gruppe an der Universität betonte, kann diese vage Richtlinie willkürlich ausgelegt werden, um Proteste jeder Art zu verbieten. Alle Proteste und insbesondere Streiks sind aus Sicht der Verwaltungen und Arbeitgeber zwangsläufig „störend“.
In Kalifornien wurden protestierende Studenten in ähnlicher Weise mit willkürlichen Campusverboten wegen „Störung“ belegt. Die Betroffenen verloren dadurch ihre Unterkunft, hatten keinen Zugang zu Essen und medizinischer Versorgung mehr und konnten nicht an ihren Prüfungen teilnehmen. Kalifornien, Michigan und New York – die Bundesstaaten, die bei der Unterdrückung der Proteste im Gaza-Streifen führend waren – werden von der Demokratischen Partei regiert. Die Unterdrückung der Proteste an den Universitäten wurde auf höchster Ebene von der Regierung Biden-Harris gesteuert, die sich mit Antisemiten wie Elise Stefanik zusammengeschlossen hat, um die Studierenden als „antijüdisch“ zu verleumden.
Neben der Kriminalisierung von Protesten wurden zunehmend Streiks unterdrückt. Ich gehe davon aus, dass dies in späteren Berichten von Jerry White und Tom Hall behandelt wird. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass Biden im Dezember 2022 ein Gesetz unterzeichnet hat, mit dem ein Eisenbahnstreik verboten wurde – eine autoritäre Maßnahme, die die Eisenbahner quasi mit vorgehaltener Waffe zur Rückkehr an die Arbeit zwang.
Der Streik an der University of California war in diesem Jahr eine wichtige Erfahrung. 48.000 akademische Angestellte stimmten dort für einen politischen Streik, um sich der extremen Unterdrückung auf dem Campus zu widersetzen und die Proteste der Studierenden gegen den Völkermord zu unterstützen. Nachdem der Kampf von der mit Biden verbündeten UAW-Bürokratie behindert und isoliert worden war, erwirkten die von den Demokraten kontrollierten Behörden eine unrechtmäßige gerichtliche Verfügung. Doch obwohl die Universitätsverwaltung und die UAW-Bürokratie unablässig die Peitsche schwingen, droht der Kampf erneut auszubrechen, wenn die Lehre in den kommenden Monaten wieder aufgenommen wird.
Die Demokraten haben sich zwar in Worten dagegen gewandt, dass der Oberste Gerichtshof Trump für immun gegenüber Strafverfolgung erklärt hat, aber es ist klar, dass die Regierung Biden-Harris und die Demokratische Partei keine prinzipiellen Einwände gegen die Anwendung diktatorischer Methoden haben, solange sie diejenigen sind, die sie anwenden.
Der Charakter des Obersten Gerichtshofs: Korruption, Klassenjustiz und keine demokratische Rechenschaftspflicht
Während des größten Teils der amerikanischen Geschichte fungierte der Oberste Gerichtshof als Bollwerk der Reaktion. Er unterstützte im Fall Dred Scott (1857) die Sklaverei, verteidigte im Fall Plessy vs. Ferguson (1896) die Rassentrennung und lehnte die Sozialreformen des New Deal in den 1930er Jahren ab. Unter den Bedingungen des Kalten Kriegs und des ideologischen Konflikts mit der Sowjetunion wurde der Oberste Gerichtshof kurzzeitig mit einer Reihe beschränkter und verspäteter Reformen in Verbindung gebracht, insbesondere während der Amtszeit von Earl Warren als Oberster Richter von 1953 bis 1969.
Seit der Entscheidung Bush vs. Gore, mit der die Wahlen im Jahr 2000 gestohlen wurden, ist der Oberste Gerichtshof jedoch weiter nach rechts gerückt als jemals zuvor seit dem Bürgerkrieg. Darin kommt zum Ausdruck, dass es in der amerikanischen herrschenden Klasse keine nennenswerte Basis für die Aufrechterhaltung demokratischer Normen mehr gibt.
Dieser Prozess beschleunigte sich, nachdem Trump drei seiner Gefolgsleute zu Obersten Richtern ernannt hatte – Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und die christliche Fundamentalistin Amy Coney Barrett. Dadurch erlangte der Trump-freundliche Flügel im Obersten Gerichtshof eine Mehrheit von 6 zu 3.
Im Jahr 2022 hat der Oberste Gerichtshof das Recht auf Schwangerschaftsabbruch für 175 Millionen Frauen in allen Bundesstaaten und US-Territorien abgeschafft. Diese Entscheidung erging mehr als hundert Jahre nach der Russischen Revolution, die den Frauen in der UdSSR das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gesichert hatte. In Verratene Revolution schrieb Trotzki, dass „die Revolutionsmacht der Frau das Recht auf Abtreibung gebracht“ hatte, „das, wo Not und Familienjoch weiterhin bestehen, eines der bedeutendsten politischen und kulturellen Bürgerrechte ist“.
Während die UdSSR noch existierte, gewährte der Oberste Gerichtshof den Frauen in den USA 1973 mit dem Urteil in der Rechtssache Roe vs. Wade ein partielles, bedingtes Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Die Abschaffung dieses Rechts war ein Element der umfassenden Angriffe, die jetzt gegen jede Sozialreform des letzten Jahrhunderts laufen. Hierzu zählen der Voting Rights Act und die durch die Bürgerrechtsbewegung errungenen Reformen sowie das Rahmenwerk der zentralstaatlichen Regulierung, das nach dem Börsenkrach von 1929 und der Großen Depression eingeführt wurde.
Fünf der sechs Richter, die am Obersten Gerichtshof die Mehrheit bilden, wurden von Präsidenten ernannt, die bei den Wahlen nicht die Mehrheit der Wählerstimmen erhalten hatten, darunter die drei von Trump ernannten Richter Samuel Alito und John Roberts. Von den Richtern, die in der Rechtssache Trump vs. Vereinigte Staaten zu Trumps Gunsten gestimmt haben, waren mindestens zwei, Samuel Alito und Clarence Thomas, selbst in den Staatsstreich verwickelt. Clarence Thomas war zwar nicht persönlich involviert, aber seine Frau Virginia Thomas war direkt an Trumps Verschwörung beteiligt.
Das Wahlverfahren, mit dem wir in diesem Jahr viele konkrete Erfahrungen gemacht haben, ist durch und durch undemokratisch, worauf wir in Punkt 31 hinweisen. Für Parteien außerhalb der beiden politischen Mafias, die das politische Establishment der USA bilden, ist es nahezu unmöglich, auf die Stimmzettel zu gelangen. Und selbst wenn man es irgendwie schafft, zugelassen zu werden, bereitet die Demokratische Partei einen „totalen Krieg“ gegen dritte Parteien vor und mobilisiert eine „Armee von Anwälten“, um einen „Plan zur Aufstandsbekämpfung in jedem einzelnen Bundesstaat“ durchzuführen. Dies ist einem NBC-Bericht zu entnehmen, auf den wir in diesem Jahr hingewiesen haben. Die Vorschriften der Federal Election Commission (FEC) machen es möglich, dass von den Superreichen Hunderte von Millionen Dollar ausgegeben werden können, während Organisationen wie die WSWS und die SEP mit Bergen von bürokratischen Schikanen überhäuft werden.
Während der Oberste Gerichtshof die demokratischen Rechte mit aller Macht bekämpft, ist er gleichzeitig in einen historischen Korruptionsskandal verwickelt. Aus Untersuchungsberichten, die ProPublica vergangenes Jahr veröffentlichte, geht hervor, dass Clarence Thomas nicht gemeldete Geschenke in Millionenhöhe von dem Milliardär Harlan Crow erhielt, einem rechtsextremen Spender der Republikanischen Partei, der auch als begeisterter Sammler von Nazi-Memorabilien bekannt ist.
Während Thomas der mit Abstand schlimmste Übeltäter ist, ließ sich Samuel Alito von dem Hedgefonds-Gründer und Milliardär Paul Singer eine Luxus-Angelreise nach Alaska schenken. Der Chef der Anwaltskanzlei Greenberg Traurig kaufte von Richter Neil Gorsuch eine Immobilie in Colorado für 1,8 Millionen Dollar, während seine Kanzlei einen Fall vor dem Obersten Gerichtshof vertrat. Jane Roberts, die Ehefrau des Obersten Richters John Roberts, erhielt 10,3 Millionen Dollar an angeblichen Provisionen von Elitekanzleien, während dieselben Kanzleien Fälle vor dem Gericht vertraten.
Wenn man die Veränderung des Charakters der Justiz im ganzen Land in den Kontext des Abgleitens in den Autoritarismus stellt, kommt einem auch der Prozess gegen den weißen Rassisten Kyle Rittenhouse im Jahr 2021 in den Sinn. Rittenhouse hatte 2020 bei einer Demonstration gegen Polizeibrutalität in Kenosha (Wisconsin) auf drei Menschen geschossen und zwei davon getötet. Bei seinem Mordprozess trug der Richter eine Krawatte mit amerikanischer Flagge, sein Telefon klingelte während der Verhandlung mit einem Trump-Klingelton, er schrie die Staatsanwälte an, als sie versuchten, Rittenhouse ins Kreuzverhör zu nehmen, und er veranlasste die Geschworenen zu einem Applaus für Rittenhouses Gutachter. Außerdem verbot der Richter die Verwendung des Wortes „Opfer“ zur Beschreibung der von Rittenhouse erschossenen Personen, hatte aber keine Einwände gegen die Bezeichnung der Demonstranten als „Brandstifter“, „Plünderer“ und „Randalierer“.
Am Obersten Gerichtshof legen Alito und Thomas ein unverschämtes und provokantes Verhalten an den Tag. Dies ist jedoch nicht nur eine Frage ihrer individuellen Persönlichkeiten: Sie haben mehr oder weniger viele Nachahmer auf den Richterbänken der einzelstaatlichen und bundesstaatlichen Gerichte im ganzen Land, sowohl bei den erstinstanzlichen als auch bei den Berufungsgerichten. Der Oberste Gerichtshof besteht zwar nur aus neun Personen, doch sie stehen einem ganzen System vor.
In den USA leben 5 Prozent der Weltbevölkerung, aber zugleich entfallen auf sie 20 Prozent aller Häftlinge der Welt. Mehr als 2 Millionen Menschen sind inhaftiert, viele von ihnen in Gefangenenlagern von der Größe einer Kleinstadt, die notorisch verdreckt, gewalttätig, korrupt und überfüllt sind.
Wer die Mittel hat, Anwälte in Elitekanzleien zu engagieren, die 1.000 Dollar pro Stunde verlangen, kann seine Gegner mit Papierkram zuschütten und Verfahren jahrelang hinauszögern, ohne dass er zur Rechenschaft gezogen wird, wie es insbesondere Trump mit Erfolg getan hat. Doch die Rechte von Arbeitern, ob unschuldig oder schuldig, werden von der Justiz täglich mit Füßen getreten.
Die Ermordung von George Floyd durch die Polizei von Minneapolis im Jahr 2020 löste Massenproteste aus, aber die täglichen Polizeimorde gehen weiter. Das Jahr 2023 war das Jahr mit den meisten Todesopfern durch Polizeigewalt in der Geschichte. Dabei ist die offizielle Zahl von 1.300 Todesfällen mit Sicherheit zu niedrig angesetzt, da Erstickungstode, die routinemäßig anderen Ursachen zugeschrieben werden, nicht berücksichtigt werden. Vor Gericht genießen Polizisten, die Morde begangen haben, regelmäßig die so genannte qualifizierte Immunität, eine Miniaturausgabe der Immunität des Präsidenten Trump.
Neben dem Fall Trump vs. Vereinigte Staaten hat der Oberste Gerichtshof in dieser Legislaturperiode eine weitere wichtige Entscheidung getroffen, nämlich zur Illegalisierung von Obdachlosigkeit.
„Dred Scott unserer Zeit“
Abschließend möchte ich die Einschätzung des Princeton-Historikers Sean Wilentz aufgreifen, der Trump vs. Vereinigte Staaten als „Dred Scott unserer Zeit“ bezeichnete.
Das Gerichtsurteil, schrieb Wilentz kürzlich, „ hat die Struktur der amerikanischen Regierung radikal verändert und ebenso den Weg für den MAGA-Autoritarismus geebnet, wie das Taney-Gericht versuchte, den Weg für die Verankerung der Sklavenmacht zu ebnen. All das macht Trump vs. Vereinigte Staaten zum Dred Scott unserer Zeit.“
Wilentz war Unterzeichner eines Briefes an die New York Times im Jahr 2019, der auch von vier von der WSWS interviewten Historikern unterschrieben wurde, die das 1619 Project kritisierten. Wilentz hat in der New York Review of Books eine eigene Kritik des 1619 Project veröffentlicht.
Der Fall Dred Scott war – vielleicht bis zum Fall Trump vs. Vereinigte Staaten – die berüchtigtste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Sie spielte eine wichtige Rolle in der Krise, die zum Bürgerkrieg führte.
Der Sklave Dred Scott hatte mit der Begründung auf seine Freiheit geklagt, dass er in Gebieten gewohnt habe, in denen die Sklaverei illegal war. Als sein Fall vor den Obersten Gerichtshof kam, wählte dieser für sein Urteil die reaktionärsten Begründungen, die man sich nur vorstellen kann. Er beschränkte seine Argumentation nicht auf Scott. Er erklärte, dass Scott aufgrund seiner afrikanischen Abstammung niemals Staatsbürger sein könne – und dass überhaupt niemand afrikanischer Abstammung jemals Staatsbürger sein könne. Scott sei ein Eigentumsobjekt ohne verfassungsmäßige Rechte und der Kongress habe kein Recht, die Sklaverei in den Territorien zu beschränken.
Das Dred-Scott-Urteil verstärkte die Ablehnung der Sklaverei unter der Bevölkerung. Es wurde jedoch niemals vom Obersten Gerichtshof zurückgenommen. „Aufgehoben“ wurde es nicht durch den Obersten Gerichtshof, sondern durch den Bürgerkrieg, d. h. durch einen gewalttätigen revolutionären Kampf, der Massen mobilisierte und in der Abschaffung der Sklaverei und der Emanzipation von 3,5 Millionen Menschen gipfelte.
Wenn also ein prominenter US-Historiker sagt, das Urteil im Fall Trump vs. Vereinigte Staaten sei das Dred-Scott-Urteil unserer Zeit, dann ist das ein Eingeständnis, dass die USA auf den Ausbruch von Massenkämpfen zusteuern und dass die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die eine Präsidialdiktatur in Aussicht stellt, nicht durch weitere gerichtliche Berufungsverfahren „aufgehoben“ werden kann, sondern nur durch einen revolutionären Kampf.
Der Fall Dred Scott wurde damals als Ausdruck des bösartigen Einflusses der „Sklavenmacht“ auf das amerikanische politische Establishment angesehen.
Das Urteil war Ausdruck der maßlosen Arroganz der Sklavenhalter, die den aus der Sklaverei resultierenden Reichtum nutzten, um sich maßgeblichen Einfluss auf die Politik in Washington zu verschaffen. Die Umkehr dieses Urteils erforderte einen Frontalangriff auf die Sklaverei selbst, die Grundlage für den Reichtum und Einfluss der Sklavenhalter. Um die Sklavenhalter zu besiegen, musste das Sklavensystem, das die Quelle ihrer Macht war, angegriffen und zerschlagen werden.
Wenn Dred Scott die Macht der Sklavenhalter als gesellschaftliche Kraft zum Ausdruck brachte, welche gesellschaftliche Kraft zeigt sich dann im Urteil zu Trump vs. Vereinigte Staaten? Es ist Ausdruck der maßlosen Arroganz der kapitalistischen Oligarchen. Dred Scott spiegelte eine Nation wider, die von der Sklaverei heimgesucht wurde; Trump vs. Vereinigte Staaten spiegelt eine Welt wider, die von Kapitalismus, sozialer Ungleichheit und Krieg heimgesucht wird. Die Aufhebung von Trump vs. Vereinigte Staaten erfordert einen Frontalangriff auf die Diktatur der Oligarchen über die Weltwirtschaft. Um die Kapitalisten zu besiegen, muss das System angegriffen werden, das die Quelle ihrer Macht ist: das Profitsystem.
Die Vereinigten Staaten sind eine der ungleichsten Gesellschaften der Geschichte. Milliardäre wie Bezos und Musk verfügen über ein Privatvermögen, das den Reichtum ganzer Nationen übersteigt, und in ihrem Bestreben, Billionäre zu werden, führen sie ihre Unternehmen wie Könige.
Man kann in der Politik keine Demokratie haben, wenn in der Wirtschaft im Wesentlichen eine Diktatur herrscht. Und das ist es, was die Weltwirtschaft ist: eine Diktatur der Oligarchen. Die Entscheidung, ob man eingestellt oder entlassen wird, ist keine Frage der eigenen Wahl, sondern das alleinige Vorrecht des Arbeitgebers. Dies ist ein Widerspruch, der nicht ewig aufrechterhalten werden kann. Er kann vielleicht einen Tag, eine Woche, einen Monat oder ein Jahr andauern – aber irgendwann wird die soziale Realität, dass der eine Mensch zig Milliarden Dollar besitzt und der andere nichts, den rechtlichen Rahmen sprengen, in dem diese beiden Menschen theoretisch die gleichen Rechte und die gleiche politische Macht haben.
Glaubt irgendjemand, dass in dieser sogenannten Demokratie ein Tesla-Fabrikarbeiter die gleichen Rechte und die gleiche politische Macht hat wie Musk? Nein, natürlich nicht. Wenn Musk einen Arbeiter entlassen will, hat er im Kapitalismus das Recht dazu, auch gegen den Widerstand einiger oder aller Arbeiter.
Dasselbe lässt sich sehr leicht hinsichtlich des Verhältnisses zwischen imperialistischem Krieg und demokratischen Rechten aufzeigen. Der imperialistische Krieg erfordert, dass die Ressourcen der Gesellschaft von den sozialen Bedürfnissen abgezogen werden, um die Kriegsmaschinerie anzutreiben. Diese Maschinerie fordert Leib und Leben der Arbeiterklasse. Ihr beides zu entreißen, ist zwangsläufig nicht populär, denn die Arbeiterklasse profitiert nicht vom imperialistischen Krieg. Die Arbeiterklasse muss Opfer bringen und bekommt nichts dafür. Das bedeutet, dass der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den imperialistischen Krieg mit Gewalt und Repression überwunden werden muss. Deshalb gehen imperialistischer Krieg und Angriffe auf demokratische Rechte immer Hand in Hand.
In Absatz 19 der Resolution heißt es: „Die grundlegenden objektiven Ursachen für die Hinwendung der herrschenden Klasse zu Faschismus und Diktatur sind: 1) die weltweite Eskalation des imperialistischen Kriegs und 2) die extreme Zunahme der sozialen Ungleichheit.“ Die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage ihrer unabhängigen Interessen gegen soziale Ungleichheit und Krieg ist daher die einzige vernünftige Strategie, um demokratische Rechte zu verteidigen und Diktatur und Weltkrieg zu bekämpfen.
Aus diesem Grund heißt es in Absatz 34:
Alles Gerede über die Verteidigung der Demokratie und den Kampf gegen den Faschismus ist zynische und politisch impotente Demagogie, solange die grundlegende Frage der Klassen und der wirtschaftlichen Macht – und damit der Notwendigkeit, die Arbeiterklasse auf globaler Ebene für den Sturz des Kapitalismus zu mobilisieren – ignoriert wird.
Wir bezeichnen uns in dieser Resolution nicht als Revolutionäre, weil wir persönlich eine besondere Vorliebe für Gewalt hätten. Der revolutionäre Charakter unseres Programms ergibt sich aus dem Charakter der objektiven Situation, unabhängig von unseren individuellen Wünschen. Unser Programm, das in 150 Jahren politischer Erfahrung wurzelt, ist revolutionär, weil wir erkennen, dass die menschliche Zivilisation objektiv an einem Gesellschaftssystem krankt, das an seinen Widersprüchen zerbricht und entweder Diktatur, Unterdrückung und einem Gemetzel weichen muss, das alle bisherigen Kriege und Diktaturen in den Schatten stellt, oder aber dem Sozialismus, dem Fortschritt, der sozialen Gleichheit und der Wiedergeburt echter Demokratie auf einer höheren und fortgeschritteneren Ebene weichen muss, angefangen bei der Demokratie am Arbeitsplatz. Einen Weg zurück zur „Normalität“ gibt es nicht – das sind die einzigen beiden Möglichkeiten.
Allerdings ist es eine Sache, wenn der Oberste Gerichtshof auf dem Papier eine Präsidialdiktatur ankündigt; eine andere Sache ist es, der Arbeiterklasse eine solche Diktatur tatsächlich aufzuzwingen. Die Arbeiterklasse in den USA und weltweit wird gegen die Diktatur kämpfen. Das ist keine offene Frage, sondern sie wird versuchen, sich so gut es geht, mit allen Mitteln und dem Wissen, das sie hat, gegen die Verhängung einer Diktatur zu wehren. Insbesondere die Arbeiterklasse in den USA hat trotz ihrer vielen Schwierigkeiten eine tiefe demokratische Tradition, die in all den von Genosse Tom Mackaman beschriebenen Ereignissen und Erfahrungen verwurzelt ist. Die herrschende Klasse weiß ganz genau, dass man keine Diktatur errichten und dabei erwarten kann, dass die Arbeiterklasse sich nicht wehrt. Die Arbeiterklasse wird sich auch unweigerlich gegen die massenhafte Einberufung zur Armee und die Umlenkung riesiger Ressourcen von den sozialen Bedürfnissen in die Kriegsmaschinerie zur Wehr setzen.
Der Kampf ist unvermeidlich, aber sein Ausgang ist es nicht. Wie die Geschichte immer wieder gezeigt hat, hängt der Ausgang vom subjektiven Faktor ab, nämlich von der Rolle der Partei, die die Führung der Arbeiterklasse darstellt. Wie wir in Absatz 9 sagen:
Dieser objektive Prozess wird jedoch nicht automatisch in eine bewusste Bewegung für den Sozialismus umgewandelt. In den Vereinigten Staaten und weltweit ist der Aufbau der revolutionären Führung die entscheidende strategische Frage, von der das Schicksal der Menschheit abhängt.
Aus all diesen Gründen spreche ich mich für die Annahme der vorgeschlagenen Resolution aus.
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