Niederlande: Eine Viertelmillion protestieren gegen Völkermord in Gaza und kriminelle Kaperung der Gaza-Flotille

Demonstration in Amsterdam gegen den Völkermord im Gazastreifen am 5. Oktober 2025

Während das israelische Militär seinen Völkermord weit im Inneren des Gazastreifens verschärft und Millionen von Palästinensern zu unvorstellbarem Leiden verdammt, hat die Empörung über diese Katastrophe unter Arbeitern und Jugendlichen eine weitere massive Welle von Protesten am letzten Wochenende ausgelöst. Am 5. Oktober fand in Amsterdam die dritte „Rote Linie“-Demonstration statt. Es war die größte Antikriegsveranstaltung seit den Protesten gegen Atomwaffen im Jahr 1981.

Die erste „Rote Linie“-Demonstration in Den Haag am 18. Mai hatte bereits 100.000 Teilnehmer. Bei der zweiten am 15. Juni, kaum vier Wochen später, waren es bereits 150.000. Am letzten Wochenende, nach dem Sturz der niederländischen Regierung, stieg die Zahl der Teilnehmer in Amsterdam am letzten Wochenende auf schätzungsweise 250.000.

Die landesweiten Antikriegsproteste und Streiks in den letzten zwei Jahren haben die wichtigsten Städte der Niederlande in Zentren des globalen Widerstands gegen Krieg, Völkermord, Sparpolitik und autoritäre Herrschaft verwandelt. Hunderttausende von niederländischen und zugewanderten Arbeitern und Jugendlichen aller Altersgruppen, Branchen und Gesellschaftsschichten strömten auf die an den Grachten gelegenen Straßen und Plätze von Amsterdam, um sich mit den wehrlosen Palästinensern zu solidarisieren.

Die Teilnehmer zeigten mit selbstgemachten Transparenten und Schildern ihre Wut über das Netanjahu-Regime und die rechtsextreme niederländische Minderheitsregierung, die das Land übergangsweise regiert. Die bisher größte Antikriegsdemonstration ereignete sich nur drei Wochen vor dem Termin für die vorgezogenen Neuwahlen am 29. Oktober. Laut einer aktuellen Umfrage halten bis zu 42 Prozent den Krieg im Gazastreifen für eine entscheidende politische Frage.

Die niederländische herrschende Elite hat sich schon bei der Gründung Israels auf dem Land, das den Palästinensern gestohlen wurde, zum politischen Komplizen des zionistischen Staates gemacht und unterhält heute enge wirtschaftliche und militärische Beziehungen zum Netanjahu-Regime. Diese Beziehungen haben unter niederländischen Arbeitern und Jugendlichen heftigen Widerstand gegen beide Regimes hervorgebracht.

Im Jahr 2024 erteilten die Niederlande Exportlizenzen für die Lieferung von Teilen von Kampfflugzeugen und anderem Kriegsgerät an Israel. Insgesamt beliefen sich die Waffenexporte auf offiziell 33 Millionen US-Dollar. Aktuelle Gerichtsurteile haben diese Lizenzen zwar in Frage gestellt, aber nicht gestoppt. Dies ist derweil eine der zentralen Forderungen von Studenten, die seit zwei Jahren Protestcamps an den Universitäten organisieren.

Die Radikalisierung zehntausender Arbeiter und junger Menschen in den Niederlanden durch das seit zwei Jahren andauernde Massaker an den Palästinensern hat die Kluft zwischen der Stimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung und den Parteien des Establishments in dramatischer Weise enthüllt. 

Bei der Kundgebung in Amsterdam verteilten Reporter der WSWS Flugblätter mit den Artikeln „Weltweite Proteste gegen Israels Beschlagnahme der Sumud-Flotille“ und „Niederlande: Vorgezogene Neuwahlen im Oktober aufgrund von Krise der bürgerlichen Herrschaft“. Die Fragen, die in beiden Artikeln aufgeworfen werden, sorgten für umfangreiche Diskussionen unter den Teilnehmern.

Auch ein beträchtlicher Teil der jüdischen Gemeinde Amsterdams beteiligte sich an den Protesten. Viele ihrer Mitglieder trugen Plakate, auf denen sie den Völkermord verurteilten, und verglichen Netanjahus Regime mit dem Dritten Reich. Sie zogen Vergleiche zwischen dem historischen Trauma, das ihre Familien während des Holocaust erlitten hatten, und dem Leiden, das die Palästinenser jetzt durchleben.

Jüdische Demonstranten vor dem Van Gogh-Museum an der Museumplein in Amsterdam

Vor dem Holocaust war jüdische Gemeinde in Amsterdam die größte der Niederlande und die Stadt war ein maßgebliches Zentrum des jüdischen kulturellen Lebens. Unter der Besatzung der Nazis wurden innerhalb von fünf Jahren mehr als 80 Prozent der jüdischen Bevölkerung der Stadt ermordet.

Zyanya Breuer

Zyanya Breuer erklärte gegenüber der WSWS:

Ich bin antizionistische Jüdin und betrachte den Zionismus als ein System der jüdischen Vorherrschaft, durch das versucht wird, den Palästinensern das Land wegzunehmen und ihnen weniger Rechte zu geben. Das Recht auf Rückkehr ist wirklich ein riesiges Problem. Und dass es ein Apartheidsstaat ist. Deshalb glaube ich, die Welt muss aufwachen und so darauf reagieren, wie wir in der Vergangenheit versucht haben, gegen Unrecht zu kämpfen.

Ich halte es für wirklich wichtig, dass unser jüdischer Block heute hier ist, um zu sagen, dass unser Name als jüdische Gemeinde nicht benutzt werden soll, um das zu rechtfertigen. Ich halte es für eine riesige Lüge, dass Israel immer sagt, es wäre der einzige sichere Ort für Juden auf der Welt. Tatsächlich ist es für Juden meiner Meinung nach der gefährlichste Platz, und ich denke, dass sie Judentum und Zionismus miteinander verbinden, macht die Lage für mich und viele von uns unsicher, weil man automatisch davon ausgeht, dass wir dieses Unrecht unterstützen, was wirklich ungerecht ist.

Letzten Endes hat uns die Geschichte der Juden gelehrt, dass man gegen Unrecht aufstehen muss. Es geht nicht nur darum, uns daran zu erinnern, was mit uns passiert ist und nur uns zu schützen, sondern alle Unterdrückten zu schützen.

Unter der jüdischen Bevölkerung von Amsterdam sind die Meinungen über den Völkermord an den Palästinensern geteilt.

Wie alle Gruppen von Menschen, sind wir kein monolithischer Block. Wir können alle unsere eigenen Ansichten und Meinungen haben. Es gibt also eine Teilung. Und das macht es schwer für Juden, sich zu äußern, weil sie Angst haben. Vielleicht haben sie eigentlich wirklich viel Kritik an Israel oder dem Völkermord, aber denken, dass sie sich von ihren Freunden oder ihrer Familie trennen, wenn sie den Mund aufmachen. In jüdischen Gemeinden gibt es definitiv die Erwartung, dass man loyal gegenüber Israel ist, weil Israel mit seiner Propaganda es wirklich geschafft hat, diese Sicht zu fördern.

Ich habe erlebt, wie mein Vater das in den letzten zwei Jahren abgelegt hat, und es war wirklich schmerzhaft für ihn. Aber es war auch sehr schön, dass er die Realität erkannt hat, dass bei allem, was man ihm über die Geschichte der Region beigebracht hat, Dinge weggelassen wurden.

Über die Komplizenschaft der niederländischen Regierung bei dem Völkermord fügte sie hinzu:

Ja, absolut. Die niederländische Regierung schickt weiterhin Teile für Kampfjets, andere Waffen und Hunde, außerdem bildet sie aus, wo über die Technologieunternehmen eine Verbindung zur niederländischen Wirtschaft besteht.

Zitat von Albert Einstein

Studierende machten einen großen Anteil an den Demonstranten aus. Nico von der Universität Amsterdam, die wegen der Gefahr staatlicher Verfolgung ihre Identität nicht preisgeben wollte, hielt ein Plakat mit einem Zitat von Albert Einstein.

Ja, Albert Einstein hat 1948 einen offenen Brief an die New York Times geschrieben, der von ihm selbst, Hannah Arendt und zehn anderen jüdischen Intellektuellen unterschrieben war. Davon habe ich hier eine Zeile. Er beschreibt die israelische Politik als ‚mit den Nazis und den faschistischen Parteien eng verwandt, geprägt von Ultranationalismus, religiösem Mystizismus und rassistischem Überlegenheitsdenken.‘ Und offensichtlich hat sich nichts geändert, obwohl man uns vor 80 Jahren gewarnt hat.

Es ist offensichtlich, dass der Zionismus und der ethnische Rassismus in Israel-Palästina nicht aufgehalten wurden und sie sich zu einem umso größeren Krebsgeschwür entwickelt haben, das seit fast 100 Jahren so einen langsamen Völkermord begeht. Ich zeige das Leuten gern, weil jeder Albert Einstein kennt, aber sie wissen nicht unbedingt, dass er sich zu vielen sozialen Themen geäußert hat, auch zu Rassismus in den USA. Dass er diese starken Worte gesagt hat, ist wirklich wichtig.

Ich würde jedem empfehlen, den ganzen Brief zu lesen, den er an die New York Times geschickt hat. Er ist ungefähr eine Seite lang und sehr klar. Wahrscheinlich hat jede Generation irgendwann gedacht: ‚Okay, das ist jetzt genug Mobilisierung, um dieses Apartheidsregime zu beenden‘, und ich hoffe, dass es jetzt so weit ist. In diesem Sinne muss es heißen: ‚Niemand ist frei, bis Palästina frei ist‘.

Ich würde gern mehr sehen, wie z. B. dass die Häfen geschlossen werden wie in Italien, Spanien oder Marokko. Oh ja, solche Klassensolidarität würde ich hier auch gern erleben.

Auf die Frage, ob sie für die Leser der WSWS auf der ganzen Welt etwas hinzufügen möchte, sagte Nico: „Studiert die Geschichte des Konflikts!“

Diese Stimmungen und Forderungen aus Amsterdam müssen mit der breiteren Bewegung gegen Sparpolitik, Krieg und die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Arbeitern und Jugendlichen verbunden werden, die sich bereits in der internationalen Arbeiterklasse entwickelt. Die gleichen imperialistischen Regierungen, einschließlich der verbrecherischen und kriegslüsternen niederländischen Bourgeoisie, die das zionistische Regime mit tödlichen Waffen beliefert, greifen in ihren Ländern zu diktatorischen Herrschaftsformen, um den Widerstand der Bevölkerung gegen Sparmaßnahmen, Aufrüstung und Weltkrieg zu unterdrücken.

Unter den Rahmenbedingungen des Kapitalismus, der auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und dem reaktionären Rahmen des Nationalstaates basiert, kann es weder für Juden noch für Palästinenser eine dauerhafte Lösung geben. Der Kampf gegen den Völkermord im Gazastreifen ist untrennbar mit dem Kampf für Sozialismus in den Niederlanden und weltweit verbunden. Nur das Internationale Komitee der Vierten Internationale, bewaffnet mit seinem immensen historischen Erfahrungsschatz, ist dazu in der Lage, diese Herausforderung zu bewältigen.

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